Seit Monaten schon haben weltweit die Finanzmärkte gerätselt und spekuliert, ob die Zentralbanker der US-Fed nach fast sieben Jahren Nullzinspolitik bei ihrer Sitzung am 17.09. erstmals die Zinsen anheben würden. So wichtig schien diese Entscheidung, dass die Medien in den Hauptnachrichten darüber berichteten. Und die Fed beschloss, die Zinsen bei Null zu belassen.
Nun geht das Warten also weiter. Nachdem Fed-Chefin Janet Yellen sich wegen der Unsicherheiten im Ausland, insbesondere in den Schwellenländern, nicht getraut hat, die erste US-Zinserhöhung zu beschließen, können die Börsianer munter weiter rätseln, wann es denn nun passieren wird, ob im Oktober oder im Dezember. Dass sie die Entscheidung gar auf das nächste Jahr verschiebt, halte ich für unwahrscheinlich, denn 2016 ist Wahljahr und da muss sich die Fed zurückhalten, um nicht der Wahlbeeinflussung bezichtigt zu werden. Daher wird meines Erachtens die erste Zinserhöhung noch dieses Jahr kommen. Bis dahin wird die Unsicherheit immer wieder für Zitterphasen an den Börsen sorgen.
Die Bedeutung, die an den Märkten der ersten Zinserhöhung beigemessen wird, halte ich ohnehin für übertrieben. Ein Ereignis, das schon so lange – fast zwei Jahre – angekündigt worden ist, verliert seinen Schrecken.
Abgesehen davon hat ein erster Zinsschritt den Aktienmärkten nie geschadet – eher im Gegenteil. Der frühere Chefvolkswirt von Merrill Lynch, David Rosenberg, hat ausgerechnet, dass der Börsenaufschwung in den letzten 60 Jahren nach der ersten Zinserhöhung im Durchschnitt noch 38 Monate gedauert und hohe Kursgewinne gebracht hat.
Die Anleger sollten deshalb nicht unaufhörlich darauf starren, wann Janet Yellen den Zinsschritt wagt, sondern lieber das fundamentale Umfeld im Blick behalten. Und das sieht trotz möglicher kurzfristiger Turbulenzen für den Langfristanleger ausgezeichnet aus. Die gestrige Verschiebung der Fed-Entscheidung sorgt dafür, dass uns die globale Minizinspolitik noch länger als bisher angenommen begleiten wird. Ein Indiz, wie lange, sind die Erwartungen der Mitglieder des Fed-Offenmarktausschusses bezüglich der künftigen Leitzinsen. Im Durchschnitt haben sie seit der Juni-Sitzung ihre Projektionen für Ende 2016 von 1,6 % auf 1,4 % reduziert und für Ende 2017 von 2,9 % auf 2,6 %. Das sind alles keine Sätze, vor denen die Anleger Angst haben müssen. Sie werden den Aktienaufschwung nicht gefährden, zumal nach der gestrigen Verschiebung der Zinswende auch klar ist, dass die Fed nicht das geringste Risiko eingehen und deshalb vermutlich zu spät die Zügel anziehen wird, um die Konjunktur in den USA und global nicht zu gefährden.
Die Kombination aus Niedrigst-Leitzinsen und die gleichzeitige Manipulation der langfristigen Zinsen auf ein Niedrigstniveau mit Hilfe billionenschwerer Anleihekaufsprogrammen wurde in den USA vom früheren Fed-Chef Bernanke erfunden. Seine Nachfolgerin Yellen muss nun beweisen, dass der Ausstieg aus dieser Politik möglich ist. Das ist schwieriger als der Einstieg. Handelt sie zu spät, könnte es passieren, dass bei einem parallelen Anstieg von Löhnen und Ölpreisen die Inflation aus der Kontrolle gerät.
Große Gefahren sehe ich mittelfristig daher für die Inflation. Die weiterhin extrem lockere US-Geldpolitik sorgt dafür, dass sich das Inflationspotenzial noch stärker aufbauen wird. Es wird sich entladen, sobald die Weltwirtschaft stärker wächst. Dann werden Aktien, mehr noch als jetzt, die einzige liquide Anlageklasse sein, die Erträge über der Inflationsrate bringt. Langfristig orientierte Anleger sollten deshalb die Kursschwankungen nutzen und ihre Bestände nach und nach ausbauen.