2022 verspricht noch verzwickter zu werden – aber voraussichtlich ebenfalls mit positivem Ausgang. Vor allem zwei Entwicklungen dürften das neue Börsenjahr prägen: Die Geldpolitik insbesondere der US-Notenbank Fed, und die Corona-Pandemie. Man könnte sagen, das ist ja nichts Neues, weil beide Bereiche das Börsengeschehen seit Februar 2020 bestimmen. Trotzdem ist vieles anders als in den letzten zwei Jahren.
Fangen wir mit Covid-19 an: Mit dem Auftauchen der Omikron-Variante sind die Hoffnungen zerstoben, dass die Pandemie ab dem Frühjahr ihren Schrecken weitgehend verlieren und die Welt wieder zur Tagesordnung übergehen könnte. Nun aber werden die Menschen und die Finanzmärkte vermutlich noch so manche Corona-Überraschung erleben. Teil-Lock-Downs und Lieferketten-Probleme können immer wieder das Wirtschaftswachstum ins Stocken bringen und die Inflation klettern lassen. Mit diesen Unsicherheiten im Nacken werden wir Anleger wohl noch mehr Schwankungen aushalten müssen als 2021.
Positiv stimmt aber: Die Welt hat gelernt, mit Corona umzugehen und den wirtschaftlichen Schaden in Grenzen zu halten.
Drei Zinserhöhungen in den USA ..
Ebenfalls viele Unwägbarkeiten hält die Geldpolitik bereit. Bis in den Herbst hinein war ja die größte Sorge der Anleger, dass die Notenbanken das Inflations-Virus nicht ernst genug nehmen und zu spät darauf reagieren – mit dem Risiko, später umso stärker auf die Bremse treten zu müssen. Aber eine US-Inflationsrate von fast sieben Prozent im November, das höchste Niveau seit fast 40 Jahren, hat Fed-Chef Jerome Powell zur Besinnung gebracht. Und nun kann es ihm nicht schnell genug gehen. Er hat die Kehrtwende eingeleitet: Die Anleihekäufe, mit denen er seit dem Corona-Ausbruch Monat für Monat 120 Milliarden Dollar Liquidität in die Märkte gepumpt hat, laufen im März und nicht erst im Juni aus. Anschließend will die Fed ihre Nullzinspolitik beenden – mit voraussichtlich drei Zinserhöhungen 2022. Dann läge der Leitzins in einem Jahr bei 0,75 bis 1,0 Prozent – immer noch extrem niedrig.
Wie sehr die Fed-Wende die Börsen belasten wird, kann niemand seriös voraussagen. Die massive Geldschöpfung, zuerst seit der Finanzkrise und noch viel stärker seit dem Corona-Ausbruch, ist in ihren Dimensionen beispiellos. Entsprechend fehlen Erfahrungswerte über Risiken und Nebenwirkungen beim Ausstieg. Das Ende der Fed-Anleihekäufe heißt allerdings nicht, dass die gewaltigen Liquiditätsmengen der letzten Jahre verschwinden. Sie bleiben, wachsen jedoch nicht mehr. Die ultralockere Fed-Politik wird so zu einer „nur“ noch sehr, sehr lockeren. Sie bleibt für die Aktienmärkte damit ein starker Kursmotor.
… aber keine Zinsschritte der EZB
Auch Europas Börsen profitieren 2022 davon. Anders als die Fed behält die EZB ihre ultralockere Geldpolitik sogar weitgehend bei. Sie lässt zwar das Corona-Hilfsprogramm PEPP (Pandemic Emergency Purchase Program) im Gesamtvolumen von 1,85 Billionen Euro planmäßig im März auslaufen, mildert aber den Entzugseffekt durch die Aufstockung des anderen Kaufprogramms APP (Asset Purchase Program) ab. Und Zinserhöhungen hat EZB-Chefin Christine Lagarde 2022 weitgehend ausgeschlossen. Es bleibt also bei Null- und Negativzinsen und weiteren Liquiditätshilfen. Anleihen und sonstige Zinsanlagen bleiben damit unter Ertragsaspekten keine Konkurrenz zu Aktien. Sie sind und bleiben real, also inflationsbereinigt, ein riesiges Verlustgeschäft.
Allerdings könnten sich die Pläne der EZB ändern, wenn die Inflation, anders als von ihr erwartet, im Laufe des Jahres 2022 doch nicht deutlich zurückgehen sollte.
Das ist ein nicht zu unterschätzendes Risiko, weil unterbrochene Lieferketten und enorme Verteuerungen bei Energie, Rohstoffen und vielen Dienstleistungen einen permanenten Inflationsdruck aufrechterhalten dürften. Und das Wachstum zunächst noch dämpfen. Die Prognosen für 2021 sind zwar auf breiter Front gesenkt worden. Aber der Optimismus ist groß, vielleicht zu groß, dass die Europas Konjunktur 2022 bereits ab dem Frühjahr die Delle wettmachen und deutlich stärker als bisher erwartet zulegen wird, unterstützt von hohen staatlichen Konjunktur- und Investitionsspritzen. Gerade erst hat die Deutsche Bundesbank entsprechende Prognosen veröffentlicht.
Wann auch immer die Aufholjagd einsetzen wird – bereits die Erwartung einer Konjunkturerholung ist ein Pluspunkt für die Börsen. Risiken lauern, wie dies auch 2021 der Fall war, immer wieder von Seiten der Geopolitik, vor allem falls sich der Handelskonflikt zwischen den beiden mächtigsten Wirtschaftsnationen USA und China wieder zuspitzen sollte.
Drei Motoren treiben die Aktienmärkte an
Der Dreiklang aus weiterhin sehr expansiver Geldpolitik, neuen milliardenschweren staatlichen Konjunkturprogrammen und einem im Jahresverlauf erwarteten höheren Wachstumstempo bildet eine gute Basis für eine Fortsetzung des Aufwärtstrends, wenngleich unter starken Schwankungen. Allerdings werden die Unternehmensgewinne, die 2021 mit Zuwächsen von 50 Prozent beim S&P 500 und 60 Prozent beim Stoxx Europe 600 Rekordwerte erreicht haben, deutlich langsamer wachsen. Denn 2022 gibt es keinen Aufholeffekt nach einer Rezession wie 2021. Aber ein vom Durchschnitt der Analysten geschätztes Gewinnwachstum von rund 8 Prozent für den S&P 500 und von 12 Prozent für den Stoxx 600 Europe kann sich sehen lassen. Das gilt vor allem für europäische Aktien, die mit einem erwarteten 2022er KGV von 15,3 bei weitem nicht mehr so hoch bewertet sind wie noch im Frühjahr 2021, als es bei 18 lag. Das eröffnet voraussichtlich mehr Kurspotenzial als beim S&P 500, der auf ein KGV von stolzen 21 kommt.
Die Wende in der Geldpolitik dürfte einen Wechsel der Aktienfavoriten einleiten. Technologiewerte, insbesondere die US-amerikanischen Giganten wie Apple, Alphabet (Google) oder Microsoft haben bisher von Nullzinsen und der Liquiditätsblase am meisten profitiert. Das wird sich wohl 2022 ändern, wenngleich nur langsam. Dafür werden voraussichtlich die Aktien aus den „alten“ Industrien, von Auto – über Maschinenbau bis hin zur Chemiebranche – ihre Aufholjagd fortsetzen. Sie sind zum Teil sehr niedrig bewertet und glänzen mit hohen Dividendenrenditen. Und ein Abbau des Lieferkettenstaus, der sie bisher am meisten belastet hat, nutzt ihnen besonders.
Fazit: Ich gebrauche das Wort „alternativlos“ nur ungern. Aber an den heutigen Wertpapiermärkten sind Aktien/Aktienfonds oder ETFs (börsengehandelte Fonds) die einzigen Anlageformen, mit denen sich langfristig noch eine ansehnliche Rendite erzielen lässt.
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