Diese Analyse ist eine Ergänzung und Fortsetzung zum Beitrag: Wird dieses Jahrzehnt wieder zu „Goldenen Zwanzigern“ werden?
Als Modell war das Goldstandard-System der 1920er Jahre faszinierend, aber in der Praxis war es verheerend. Beim Goldstandard ist der Wert jeder Währung in einem bestimmten Quantum Gold zu einem fixierten Goldpreis festgelegt. Die Notenbanken müssen eine vorgeschriebene Menge Gold im Verhältnis zur umlaufenden Geldmenge halten. Papiergeld ist in Gold konvertibel, und jede Notenbank muss auf Verlangen Gold kaufen bzw. verkaufen.
Diese Regeln zwangen jede Regierung, den Geldwert stabil und die Handels- und Zahlungsbilanz ausgeglichen zu halten. Gold war der heimliche Diktator der Welt, Gold diktierte die Wirtschaftspolitik eines Landes. Daher war jedes Land bemüht, einen möglichst großen Goldschatz zu horten, um so handels- und handlungsfähig zu bleiben.
Nach den Regeln des Goldstandards durfte die Geldmenge nur in einem bestimmten Verhältnis zum Goldbestand ausgeweitet werden. Gegen Ende der 1920er Jahren hatten die meisten Länder – außer Frankreich und die USA – zu wenig Gold und daher auch keinen Spielraum, die Geldmenge zu erhöhen. Es gab eine weltweite Kapitalknappheit. Bald fing es im Internationalen Finanzsystem zu krachen an. Die Zahlungsunfähigkeit nahm täglich größere Ausmaße an, während immer mehr Firmen und Banken Bankrott gingen.
Der Schwarze Freitag im Oktober 1929
Die amerikanische Börse hatte keine Notiz von den Warnsignalen aus der internationalen Finanzszene genommen, sondern einen Höchststand nach dem anderen erklommen. Von Anfang 1924 bis 1929 hatte sich der Dow Jones mehr als vervierfacht. Niemand schien es zu kümmern, dass sich die Bewertung der Aktien, gemessen am Kurs-/Gewinn-Verhältnis, in den fünf Jahren verdoppelt hatte und sie somit weit überbewertet waren.
Plötzlich, ohne erkennbaren äußeren Anlass, war die Orgie zu Ende: Am 25. Oktober 1929, einem Freitag, fiel der Dow Jones um 12,8 Prozent. Es war der Beginn eines Kurssturzes, der erst 1932 endete und in dessen Verlauf der Dow Jones 90 Prozent seines Wertes verlor. Nahezu im freien Fall befand sich auch die Konjunktur, eine weltweite Wirtschaftsdepression begann.
Trotzdem wurden die Zinsen nicht drastisch gesenkt. Im Gegenteil: Mitte 1930 forderte die Golddelegation des Völkerbundes eine Zinserhöhung, deren Begründung einzig und allein auf dem allgemeinen Goldmangel fußte.
Zinserhöhungen verstärkten die Krisen
Inmitten der tödlichen Deflationsspirale folgte die amerikanische Zentralbank der Forderung und erhöhte den Diskontsatz. Die deutsche Reichsbank verlor im Zuge der allgemeinen Währungskrise 1930 mehr als eine Milliarde Reichsmark an Devisen. Um dies zu stoppen, erhöhte sie den Diskontsatz von 4 auf 5 Prozent. Doch die Kapitalabflüsse hielten an, worauf sie den Diskontsatz auf 7, dann auf 10 und schließlich auf 15 Prozent anhob.
Zu der Zeit lag die Zahl der Arbeitslosen weit über zwei Millionen und Reichskanzler Heinrich Brüning musste mit Notverordnungen regieren, wozu auch Steuererhöhungen gehörten – all das waren Maßnahmen, die der Goldstandard vorschrieb.
Am 10. Juli 1931 – wieder ein „schwarzer Freitag“ – stellte die Darmstädter Nationalbank, die zweitgrößte deutsche Bank, ihre Zahlungen ein. Dem folgte ein Run auf die übrigen Banken.
Verheerende Folgen für Deutschland
Am 21. September 1931 war die Bank of England zur Einstellung der Goldeinlösung gezwungen. Anfang 1932 war die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland auf 6 Millionen angestiegen. Die Nationalsozialisten, angeführt von Adolf Hitler, konnten bei den Wahlen zum Deutschen Reichstag mit 37,9 Prozent – angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen Verhältnisse – ihren Stimmanteil gegenüber 1930 verdoppeln.
Der Goldstandard hatte, neben seinen verheerenden weltweiten wirtschaftlichen Auswirkungen, besonders für Deutschland einen verhängnisvollen Einfluss: Er trug zu Hitlers politischem Aufstieg bei.
Am 4. März 1933 trat Franklin D. Roosevelt sein Amt als 32. US-Präsident an. Er hob als eine seiner ersten Amtshandlungen praktisch den Goldstandard auf. Etwa zur gleichen Zeit gelangte Hitler an die Macht.
Die Notenbanken haben jetzt eine gottähnliche Macht
Den starren Goldstandard wird es nicht mehr geben. Stattdessen haben wir jetzt einen flexiblen Geldstandard mit floatenden Wechselkursen. Die Notenbanken haben heute die gottähnliche Macht, aus dem Nichts Geld zu schaffen. Sie haben freie Hand. Sie müssen keinerlei Deckung, wie beim Goldstandard, vorweisen. Während der Goldstandard einen Hang zur Deflation hatte, führt der heutige Geldstandard tendenziell eher zur Inflation.
Sie wird kommen. Aber wenn sie kommt, wird es kritisch, besonders für hochverschuldete Staaten wie etwa Italien. Dann würden die Zinsen steigen. Wenn sich bis dahin eine spekulative Blase gebildet hat, könnte es zu einem empfindlichen Crash an den Börsen kommen. Aber, anders als beim Goldstandard, wird es wahrscheinlich nicht zu einer erstickenden Deflation kommen, sondern, wenn überhaupt, zu einer weltweiten Rezession.
Überall besteht heute ein mehr oder weniger ausgestaltetes soziales Netz mit staatlichen und privaten Versorgungseinrichtungen. Zusätzlich gibt es ein internationales Finanzsystem aus Zentralbanken und dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Außerdem sorgt eine staatlich garantierte Einlagensicherung für die Sicherheit der Sparguthaben.
Das alles sind Stabilisatoren, so dass es nicht zum Zusammenbruch des Weltwirtschaftssystems kommen dürfte, wie 1929/30. Diese Einrichtungen gab es damals alle nicht.
Foto: Bundesarchiv, Bild 102-12023 / Georg Pahl / CC-BY-SA 3.0