Meine Meinung

Seit Anfang Oktober hat sich die Stimmung an den Aktienbörsen deutlich verbessert. Die Kurse, die nach dem starken ersten Börsenhalbjahr monatelang unter zeitweise wilden Schwankungen seitwärts gelaufen waren, sind kräftig gestiegen. Leitindizes wie der DAX, der S&P 500 oder der Nasdaq 100 bauten ihre Jahresgewinne um etwa 10 Prozentpunkte auf rund 25% aus. Einen großen Teil zu den stolzen Zuwächsen beigetragen hat, dass die Angst vor einer Verschärfung des US-chinesischen Handelskriegs nachgelassen hat und dass auch der Brexit einiges von seinem Schrecken verloren hat. Neben diesen Stimmungs-Aufhellern haben zwei andere Entwicklungen den Kursaufschwung entscheidend beschleunigt: Zinssenkungen und neue Geldschwemmen der Notenbanken sowie die Konjunkturerwartungen.

Sie werden sich vielleicht wundern, dass ich die Konjunktur als positiven Faktor anführe. Schließlich haben Wirtschaftsforscher, der IWF und die Regierungen ihre Wachstumsprognosen für 2019 und 2020 praktisch im Monatsrhythmus nach unten revidiert. Aber die Börsen laufen, wie ich in meinem Ausblick auf 2019 und auf die zweite Jahreshälfte ausführlich erläutert habe, der Wirtschaftsentwicklung in der Regel um sechs bis neun Monate voraus. Die Konjunktur von heute interessiert deshalb keinen erfahrenen Anleger mehr, entscheidend sind die Erwartungen für 2020. Und die haben sich seit dem Herbstbeginn verbessert. Gut sind sie aber noch lange nicht.

Die Angst, ja zeitweise Panik vor einem weltweiten Zusammenbruch der Konjunktur hat sich jedoch gelegt, seitdem wichtige Frühindikatoren, die der Wirtschaft vorauseilen, reihenweise deutlich besser als erwartet ausgefallen sind und eine Stabilisierung der Konjunktur signalisieren.

Dazu zählen Amerikas Arbeitslosenzahlen ebenso wie Chinas Aus- und Einfuhren, die Auftragseingänge der deutschen Industrie ebenso wie die Einzelhandelsumsätze in Japan, und nicht zuletzt die Einkaufsmanagerindizes in zahlreichen Ländern. Für die Börsen besonders wichtig: Die Unternehmensgewinne im dritten Quartal sind im Durchschnitt in den USA und Europa höher ausgefallen als befürchtet, auch, weil viele Unternehmen mit energischen Kosteneinsparungen auf das langsamere Umsatzwachstum reagiert haben. Die Konjunktur ist zwar nicht aus dem Schneider – aber ihr Abwärtstrend hat sich verlangsamt und dürfte 2020 einem etwas stärkeren, aber immer noch recht müden Wachstum Platz machen.

Abzulesen ist die abnehmende Angst auch daran, dass die Anleger ihre extreme Risikoscheu, die sie ab dem späten Frühjahr an den Tag gelegt haben, nach und nach ablegen. Drei Entwicklungen zeigen das besonders gut:

  • Der Goldpreis als Krisenindikator ist seit seinem September-Hoch deutlich gefallen.
  • Die Anleihezinsen sind weltweit geklettert, und das, obwohl die Notenbanken wie verrückt frisches Geld in den Kreislauf pumpen und die Leitzinsen weiter reduziert haben. Die Rendite der 10jährigen Bundesanleihe ist in den letzten zwei Monaten vom irrsinnigen Zinstief von minus 0,7% aus um einen halben Prozentpunkt geklettert. Anleger sind angesichts besserer Konjunkturdaten und dem (vorerst) abgesagten „Weltuntergang“ anscheinend immer wenig bereit, Schuldnern Geld langfristig zu minus 0,5% oder weniger zu leihen und so ihr Vermögen systematisch zu entwerten – vor allem nach Abzug der Inflation.
  • Die Kurse besonders konjunktur- und exportabhängiger Aktien sind steil in die Höhe geschossen. Sie waren teilweise stark unterbewertet, weil in den Monaten zuvor die Verkaufspanik die Kurse extrem gedrückt hatte.

Die konjunkturellen Stabilisierungsansätze ist zum Teil den Notenbanken zuzuschreiben. Sie haben die Zinsen gesenkt und – für die Börsen besonders wichtig – enorm viel neues Geld in den Kreislauf gepumpt. Liquidität in Hülle und Fülle aber kommt zunächst vor allem den Aktienmärkten zugute, der Konjunktur hilft das so richtig erst nach geraumer Zeit, weil geldpolitische Maßnahmen mit erheblicher Verzögerung in der realen Wirtschaft wirken. Die Börsen nehmen das lange zuvor vorweg – so wie in den letzten Monaten.

Vieles spricht deshalb dafür, dass sich der Kursaufschwung nach dem ersten Kursschub mit langsamerem Tempo fortsetzen wird. Und die Anleger müssen auch weiter mit hektischen Schwankungen und immer wiederkehrenden Unsicherheiten rechnen, ausgehend vor allem von den sprunghaften Entscheidungen und oft widersprüchlichen Twitter-Botschaften von US-Präsident Trump.

Aber die Anleger sind generell zuversichtlicher und risikofreudiger geworden und haben von „verkaufen um jeden Preis“ auf „zukaufen“ umgeschaltet, wie auch die weltweite Umfrage der Bank of America bei Fondsmanagern zeigt: Im November ist deren Konjunkturoptimismus so stark gestiegen wie seit 20 Jahren nicht mehr, und sie rechnen zudem mit stärker wachsenden Unternehmensgewinnen. Das sind genau die Zutaten, die Aktienmärkte antreiben. Hinzu kommt, dass in den zinslosen Zeiten Aktien mit attraktiven Dividenden für Großanleger zunehmend wichtiger werden, um laufende Erträge zu generieren.

Am meisten profitieren dürften von der nachlassenden Angst vor einer Weltrezession die Regionen, die besonders stark von einem florierenden Welthandel abhängen: Die Emerging Markets und Europa. Deren Aktienkurse waren kräftiger gefallen als in den USA und haben deshalb in der Normalisierung Nachholbedarf, den sie erst teilweise aufgeholt haben. Beide Regionen haben den Großteil des Konjunkturabschwungs vermutlich hinter sich, während Amerika noch relativ am Anfang der Abschwächung steht. Da jedoch auch in den kommenden Monaten vor allem im internationalen politischen Umfeld viel Unvorhersehbares geschehen kann, gilt unverändert mein Rat, das Depot sehr breit international aufzustellen, diejenigen Anlageklassen höher zu gewichten, die langfristig die besten Renditen bringen – neben Emerging Markets sind das Value-Aktien und Nebenwerte – und ein besonderes Augenmerk auf dividendenstarke Aktien zu werfen.

Bild: BMW