So ein hektisches Börsenjahr wie das vergangene habe ich noch nie erlebt, und Sie vermutlich auch nicht. Erinnern wir uns: Als die Corona-Pandemie die ganze Welt erfasste, brachen die Aktienkurse im Februar/März so schnell ein wie nie zuvor, die Angst vor einer Weltwirtschaftskrise ging um, der MSCI World Index, der die wichtigsten 1600 Aktien aus 23 Industrieländern enthält, büßte fast ein Drittel ein. Die Kehrtwende setzte aber schon nach einem Monat ein und verlief so rasant wie selten zuvor. Im Gesamtjahr erreichte der MSCI World bisher ein Plus von rund 14%.
Rekordverdächtig ist auch, dass die Börsenentwicklung extrem unterschiedlich verlief. Während die amerikanischen und asiatischen Aktienmärkte 2020 mit zum Teil kräftigen Gewinnen abschließen, haben das viele europäischen Börsen nicht geschafft.
Immerhin weist der DAX aber ein kleines Plus aus. Während Technologie- und Gesundheitsaktien als Profiteure der Pandemie gewaltig zulegen konnten, kamen die konjunktursensiblen Branchen der „Old Economy“, die unter der tiefsten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg litten, kräftig unter die Räder und erholten sich erst spät, ohne ein dickes Jahresminus verhindern zu können.
Und 2021? Wird es an den Börsen eine Fortsetzung des Musters von 2020 geben – oder eine ganz andere Entwicklung?
Ich nehme an, wir bekommen von beidem etwas. Das neue Jahr wird vermutlich wieder volatil werden, wenngleich lange nicht so extrem wie 2020, und ebenfalls mit einem beachtlichen Plus abschließen. Wesentlich anders wird nach meiner Ansicht jedoch die geographische und branchenmäßige Kursentwicklung ausfallen. Sie wollen wissen, wie ich zu diesen Prognosen komme? Hier sind meine Begründungen:
Konjunktur erholt sich prächtig
Fangen wir mit der Konjunktur an. Es war ja die Angst vor einer Weltwirtschaftskrise, die im Februar und März Panik bei den Anlegern auslöste und die Kurse abstürzen ließ. Aber trotz Lockdowns und unterbrochenen Lieferketten setzte bereits Mai/Juni eine kräftige Erholung ein. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war das der Beginn eines neuen Konjunkturzyklus. Ein wichtiger Garant dafür dürfte der Durchbruch bei Impfstoffen in den letzten Monaten sein, der ein Ende der Pandemie und eine Normalisierung der Wirtschaft absehbar macht.
Konjunkturzyklen sind keine kurzen Episoden. Sie dauern in der Regel mehrere Jahre. Wir befinden uns also immer noch in der Anfangsphase eines Wirtschafts- und Börsenaufschwungs. Trotz der kräftigen Konjunkturerholung im zweiten Halbjahr werden alle großen Wirtschaftsnationen aber 2020 mit einem Minus beenden – mit Ausnahme Chinas. 2021 werden durchgehend hohe Wachstumsraten erwartet, die Schätzungen für die gesamte Welt bewegen sich zwischen fünf und sechs Prozent Plus.
Notenbanken sorgen für viel Liquidität
Dass sich die Wirtschaft so stark erholt hat, ist vor allem den massiven Geldspritzen zu verdanken. Die Notenbanken der 10 wichtigsten Wirtschaftsnationen haben 2020 für fast vier Billionen Euro neue Liquidität geschaffen, und 2021 werden es nach den Dezember-Beschlüssen von EZB und US-Fed mindestens 2,5 bis 3 Billionen sein, weil die Kaufprogramme für Anleihen weitergeführt werden. Selten zuvor hatte der berühmte Börsenrat deshalb mehr Gültigkeit als jetzt: „Handle nie gegen die Notenbanken“.
Für die Konjunktur-Rettung haben auch die Regierungen viele Billionen in die Schlacht geworfen. Finanzieren können sie die gewaltigen Summen problemlos, weil die Notenbanken mit ihren Käufen von Staatsanleihen einen Großteil der neuen Schulden finanzieren, und das zu Null- oder gar Negativzinsen. Normalerweise hätten die enormen Haushaltsdefizite – in den USA allein hat sich das Budgetminus 2020 auf gut drei Billionen Dollar mehr als verdreifacht – die Anleihezinsen in die Höhe getrieben. Aber seit der Finanzkrise sind im Zinsbereich die Gesetze von Angebot und Nachfrage außer Kraft gesetzt. Die Notenbanken können die Anleihezinsen fast nach Belieben steuern. Wie lange das gut gehen kann, ohne die Inflation zu wecken, weiß niemand. Aber in der Coronakrise ist die Konjunkturrettung leider alternativlos.
Da ich davon ausgehe, dass wir am Beginn eines längeren Konjunkturaufschwungs stehen, spricht viel für einen Favoritenwechsel an den Börsen – wie immer, wenn die Konjunktur aus dem Tal kommt.
Waren bis in den Herbst hinein Aktien aus Ländern und Branchen klare Favoriten, die relativ konjunkturunabhängig oder Gewinner der Pandemie sind, treten jetzt die zurückgebliebenen zyklischen Werte in den Vordergrund. Ihre Gewinne und Kurse schwanken mit der Konjunktur, und deshalb war für viele von ihnen 2020 ein rabenschwarzes Jahr. Zum Teil liegen ihre Kurse trotz der jüngsten kräftigen Erholung immer noch um ein Drittel bis zur Hälfte unter den Niveaus zu Jahresbeginn.
Zyklische Aktien vor der Wiederentdeckung
Die zyklischen Branchen, die im Aufschwung traditionell den größten Gewinnhebel aufweisen, finden sich vor allem bei Small- und Mid-Caps, also Aktien kleiner und mittlerer Unternehmen, sowie bei Value-Titeln, den stark unterbewerten Aktien aus der „Old Economy“. In diesen beiden Segmenten waren in den letzten Wochen auch die größten Kurssprünge nach oben zu verzeichnen.
Die sogenannten Value-Aktien erleben also eine Renaissance. Sie hinken den Wachstumsaktien seit gut zehn Jahren hinterher – eine so lange Durststrecke, wie selten zuvor.
Geografisch gehören die Schwellenländer, insbesondere Asien, zu den Gewinnern eines Weltwirtschaftsaufschwungs, zumal Chinas Wachstum 2021 fast 10% erreichen und die Nachbarstaaten mitziehen soll. Aber auch Europa sollten Sie als Anleger stärker beachten. Die Konjunktur kommt nun ins Rollen, wie die wichtigsten Frühindikatoren, die Einkaufsmanagerindizes für Dezember, eindrucksvoll signalisieren. Der Nachholbedarf der Aktien aus Industrie und Handel ist angesichts der günstigen Bewertung erheblich. Die 2020 so klar favorisierten Technologie- und Gesundheitsaktien dürften dagegen wegen ihrer sehr ambitionierten Bewertung zwar auch laufen, aber nicht so gut. Das gilt vor allem für die USA, wo manche Tech-Werte inzwischen sehr hoch bewertet werden.
Kommen wir zur Volatilität, also den Kursschwankungen. Hier ist eine Beruhigung wahrscheinlich, aber unterbrochen von heftigen Ausschlägen. Denn es gibt eine Reihe von Faktoren, die immer wieder für Unsicherheit sorgen können: Falls die Impfstoffe nicht so gut anschlagen wie erwartet, falls der künftige US-Präsident Joe Biden die hohen Erwartungen an seine Politik nicht erfüllt oder falls die geopolitischen Spannungen, insbesondere zwischen den USA und China, so sehr zunehmen, dass der Welthandel ernsthaft leidet. Auch ein noch schwächerer Dollar wird zum Risiko. Und niemand weiß natürlich, wie sich Wirtschaft und Börsen entwickeln werden, sobald Notenbanken und Regierungen etwas weniger Gas geben.
Keine vernünftige Alternativen zu Aktien
Politisch betrachtet beginnt mit dem neugewählten US-Präsidenten Joe Biden ein neuer Zeitabschnitt. Für ihn als Demokraten hat starkes Wachstum und Vollbeschäftigung oberste Priorität. Er hat mit der Ernennung der Professorin Janet Yellen zur Finanzministerin erstmals eine Frau betraut. Zuvor war sie Chefin der US-Notenbank Fed. Sie ist eine versierte Ökonomin und Arbeitsmarktexpertin. Als Finanzministerin steht sie in engem Kontakt mit dem Chef der Fed. Man kann also davon ausgehen, dass sie eine expansive Finanzpolitik und eine lockere Geldpolitik anstreben wird. Und das ist gut für Aktien.
Statistisch betrachtet hat die Börse bei demokratischen Präsidenten jährlich um 2-3 Prozent besser abgeschnitten als unter einem republikanischen Präsidenten. Da die Wall Street meist den Vorreiter spielt, wird sie auch den Takt für die übrigen internationalen Börsen vorgeben.
Aus diesen Überlegungen ziehe ich das Fazit, dass Aktien 2021 die klar bevorzugte Anlageklasse bleiben wird. Solange die Zinsen weltweit künstlich niedrig gehalten werden, lassen sich fast nur mit Aktien langfristige Erträge erzielen, die real, also nach Abzug der ab 2021 voraussichtlich leicht steigenden Inflationsraten, einen Vermögensaufbau statt einer kalten Enteignung ermöglichen.
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