1. Risikofaktor Staatliche Rente
Alles über Altersvorsorge
Die gesetzliche Rente reicht immer weniger
Jedes Jahr im Spätherbst veröffentlich die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) eine breit angelegte Untersuchung über die Altersvorsorge und das Rentenniveau ihrer 30 Mitgliedsländer. Und darin kommt Deutschland miserabel weg. So auch wieder in der Studie „Renten auf einen Blick 2019“. Eine der wichtigsten Vergleichszahlen darin ist die Netto-Ersatzrate. Sie drückt aus, wieviel Prozent des Durchschnitts-Nettoverdienstes von Angestellten und Arbeitern die Durchschnittsrente (nach Abzug der Beiträge für Krankenkassen- und Pflegeversicherung aber vor Steuern) ausmacht. In Deutschland waren das 2019 nur gut die Hälfte, nämlich 51,9%. Das sind deutlich weniger als die 58,6%, die Rentner im Durchschnitt aller OECD-Länder erreichen. In vergleichbaren EU-Staaten wie Frankreich (73,6%), Spanien (83,4%), Italien (91,8%), den Niederlanden (80,2%) oder Österreich (89,9%) sind die Rentner sogar fast um Lichtjahre besser gestellt als in Deutschland.
In den Studien ebenso wie in den Aussagen von Politikern wird dabei mit dem so genannten Eck- oder Standardrentner argumentiert, der exakt 45 Jahre lang haargenau den Durchschnittsverdienst bekommen und keine Fehlzeiten wie Arbeitslosigkeit aufzuweisen hat. Dieses „Phantom“ bekommt in den alten Bundesländern seit Juli 2019 monatlich 1487,25 Euro – vor Abzug von Krankenkassen- und Pflegeversicherungsbeiträgen sowie Steuern. In der rauen Wirklichkeit sind die Altersbezüge aber sehr viel niedriger – 2019 erhielten die 18,25 Millionen Rentenempfänger im Durchschnitt gerade mal 906 Euro. Männer bekamen im Schnitt 1148 Euro, Frauen nur mickerige 711 Euro.
Verständlich, dass angesichts dieser Zahlen die Angst vor der Altersarmut dramatisch zunimmt, vor allem bei Frauen, Geringverdienern, jungen Menschen und Bundesbürgern mit Beschäftigungslücken. Das zeigen zahlreiche Umfragen, und sie zeigen auch, dass die Angst zunimmt. Zumal die Altersrenten im Vergleich zu den Einkommen weiter sinken werden, weil – dank der steigenden Lebenserwartung und geringer Geburtenraten – immer mehr Rentenbezieher von immer weniger Berufstätigen finanziert werden müssen. Und weil ein wachsender Anteil der Rente versteuert werden muss – 2020 sind es 80%, bis 2040 steigt der Anteil auf 100% – da bleibt netto immer weniger übrig. Nur eine leistungsfähige betriebliche und private Altersvorsorge kann in diesem Umfeld den Lebensstandard einigermaßen sichern.
Von der Hand in den Mund
Dass die gesetzliche Altersrente ganz tief in der Krise steckt, ist kein Zufall, sondern systembedingt. In Deutschland gilt nämlich das Umlageverfahren. Das bedeutet, dass die Einnahmen aus den Beiträgen der Berufstätigen die Rentenzahlungen finanzieren. Das ist sozusagen das „von der Hand in den Mund-Prinzip“. Das wird dann problematisch, wenn die Zahl der Beitragszahler abnimmt, die der Rentenempfänger dagegen zunimmt, wie das in Deutschland seit Jahrzehnten der Fall ist. Die Regierungen versuchen mit immer neuen „Reformen“ diese Schieflage zu beseitigen. Die Beiträge der Versicherten wurden mehrmals erhöht, die Rentenzuwächse gekappt und das Rentenalter wird immer weiter angehoben. Trotzdem können die Renten selbst in der momentanen Höhe nur bezahlt werden, weil der Staat pro Jahr rund 100 Milliarden Euro zuschießt, mit steigender Tendenz. Das Umlageverfahren ist eine Schönwetter-Veranstaltung. Wenn es der Konjunktur gut geht, hangelt sich die Rentenversicherung einigermaßen durch, weil mehr Beschäftigte und höhere Löhne und Gehälter auch mehr Beiträge generieren, die an die Rentner ausbezahlt werden können. Wenn es jedoch zu einer langen und/oder tiefen Rezession kommt, versiegen die Steuereinnahmen zusehends, und der Staat muss mehr zuzahlen – obwohl seine Steuereinnahmen im Konjunkturabschwung ebenfalls zurückgehen.
Rentenreformen lassen die Renten schmelzen
Das Umlageverfahren ist damit eine äußerst brüchige Konstruktion. Trotzdem gilt sie in Deutschland als sakrosankt. Das war aber nicht immer so. Als Otto von Bismarck 1889 die Rentenversicherung eingeführt hat, bestand die Basis in einer Kapitaldeckung. Das heißt, mit den Beiträgen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern wurde Vermögen angespart – der so genannte Kapitalstock, bestehend aus Wertpapieren und anderen Anlageformen. Das war ein stabiles Fundament, weil die Rente dadurch unabhängig von der demografischen Entwicklung war.
Erst 1957 wurde das Verfahren geändert. Bundeskanzler Konrad Adenauer führte mit dem „Generationenvertrag“ das Umlageverfahren ein, um seine Wahlchancen zu verbessern. Das geschah gegen die ausdrücklichen Bedenken seines Wirtschaftsministers Ludwig Erhard, des Vaters des Wirtschaftswunders. Der hatte bereits damals befürchtet, dass das Umlageverfahren nicht immer und ewig funktionieren werde. Adenauer wischte die Kritik mit der schlichten Bemerkung beiseite: „Kinder kriegen die Leute immer“. Aber bereits zwei Jahrzehnte später – Ende der 1970er Jahre – fing das System an, aus dem Gleichgewicht zu geraten. Und die Probleme nahmen von Jahrzehnt zu Jahrzehnt zu, und eine Rentenreform löste die andere ab.
Besonders einschneidend war 2002 das „Altersvermögensgesetz“. Die Rot-Grüne Regierung wollte mit staatlichen Zulagen und Steuerermäßigungen die betriebliche und private Vorsorge, also die zweite und dritte Säule, so stärken, dass die Bundesbürger die Kürzungen der Rentenzuwächse ausgleichen könnten. Das bekannteste Projekt war die Riester-Rente – die zu einem kapitalen Fehlschlag wurde. Mehr dazu im nächsten Kapitel.
MEIN FAZIT
Die gesetzliche Rente allein wird immer weniger ausreichen, um den Lebensstandard im Alter annähernd zu sichern und Altersarmut zu vermeiden. Sie ist zu sehr demografie-und konjunkturabhängig und ist zunehmend auf staatliche Zuschüsse angewiesen – die jederzeit per Gesetz gekürzt werden können. Da die 1. Säule so brüchig ist, sind verstärkte Sparanstrengungen bei der 2. und 3. Säule unabdingbar, also bei Betriebsrenten und privater Vorsorge. Da Zinsanlagen wegen der Nullzinsphase keine oder höchstens geringe Renditen mehr bringen, lassen sich ohne Aktien keine akzeptablen Erträge mehr erzielen.
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