Meine Meinung

Es ist schon beeindruckend, was an den Aktienmärkten nach dem Brexit-Schock abgelaufen ist. Nur wenige Tage nach dem steilen Abstieg und ungeachtet der von einigen Medien und Banken geschürten Crash-Ängste begannen sich die Weltbörsen ab Ende Juni so massiv zu erholen, dass eine ganze Reihe wichtiger Indizes  – insbesondere die amerikanischen, aber auch der MDAX und sogar der britische Footsie – in den letzten Tagen neue Allzeithochs erreichten. Der DAX ist zwar noch ein gutes Stück davon entfernt, aber mit einem Anstieg um 1500 Punkten oder 16 % hat auch er sich außerordentlich gut geschlagen. Der Rat, den ich Ihnen in meiner vorigen „Meine Meinung“ Ende Juni nach dem Brexit-Votum gegeben hatte, war also richtig: „Ruhig Blut bewahren.“

Ruhig Blut werden Anleger vermutlich auch in den kommenden Monaten brauchen, denn starke Schwankungen sind weiterhin vorgezeichnet. Schließlich sind Aktien nach den Rekordjagden nicht mehr billig, die Konjunktur- und Zinsunsicherheiten bleiben vorerst ebenso wie die politischen bestehen und dann ist ja noch die amerikanische Präsidentschaftswahl, die bald ihre Schatten vorauswerfen wird.

Allerdings wäre es verkehrt, angesichts dieses Bündels an Unwägbarkeiten Aktien den Rücken zu kehren. Ich bin davon überzeugt, dass die meisten Börsenindizes Ende des Jahres höher als derzeit stehen werden, auch wenn sie jetzt ein paar Wochen lang voraussichtlich eine Korrekturphase durchlaufen werden. Denn die Großwetterlage spricht eindeutig weiter für Aktien. Aus einer ganzen Reihe von guten Gründen:

Erstens hat die Brexit-Abstimmung dafür gesorgt, dass die Geldpolitik weltweit noch länger extrem expansiv bleibt als es zuvor erwartet worden war. Das sieht man am besten an den Anleihezinsen. Bei  Bonds, den größten Konkurrenten von Aktien, sind die Renditen inzwischen für Emissionen im Volumen von über zwölf Billionen Dollar negativ. Für Bankeinlagen werden noch lange Nullzinsen vorherrschen und bei Lebensversicherungen fallen die Renditen wegen des unsinnig hohen Gewichts von Zinsanlagen immer kümmerlicher aus. Das sowie die überquellende Liquidität sorgt bei den Großinvestoren und zunehmend auch bei den privaten Anlegern für einen permanenten Anlagedruck, um der Nullzinsfalle zu entkommen
Da gibt es zweitens fast keine Alternativen zu Aktien. Die Dividendenrenditen als Pendants zu Zinsen sind mit durchschnittlich drei Prozent beim DAX und sogar vier Prozent beim EuroStoxx so attraktiv, dass die Rotation aus Anleihen in Aktien an Tempo zulegen dürfte, Dies auch aus einem anderen Aspekt: Die Unternehmensgewinne haben im zweiten Quartal in den meisten Ländern deutlich positiv überrascht. Das sowie die Kosteneinsparungen führen dazu, dass die zuletzt stockende Gewinndynamik langsam wieder zunehmen dürfte. Das gilt insbesondere für die USA, wo die Unternehmen wegen des Ölpreisverfalls und des zeitweise starken Dollar im Durchschnitt seit über einem Jahr Ertragsrückgänge hinnehmen mussten. Spätestens ab dem Schlussquartal 2016 ist aber wieder mit steigenden, ab 2017 sogar deutlich höheren Gewinnen zu rechnen. Denn der Ölpreis hat sich vom Tief aus fast verdoppelt und aus dem starken Dollar ist – von der Fed so gewollt – ein schwacher geworden.

Das werden die Aktienmärkte vorwegnehmen, und haben dies teilweise auch bereits, denn die Ertragsentwicklung der Unternehmen, vor allem derjenigen der Leitbörse New York, ist langfristig bekanntlich der wichtigste Einflussfaktor für die Kurse.

Drittens dürften sich die internationalen Konjunkturerwartungen allmählich aufhellen. Denn die Angst vor einem weltweit deutlichen Konjunkturabschwung nach dem Brexit-Votum ist gewichen, und mit Großbritannien und vor allem Japan werden zwei wichtige Industrieländer im vierten Quartal milliardenschwere Konjunkturprogramme auflegen, die der gesamten Weltwirtschaft zusätzliche Impulse verleihen dürften.

Sogar in China, dessen Konjunktur seit langem argwöhnisch beobachtet wird, mehren sich die Zeichen, dass die Umstellung von einer industrielastigen Wirtschaftsstruktur hin zu einer stärker Dienstleistungs- und High-Tech-orientierten gelingen wird. Im ersten Halbjahr 2016 ist der Servicesektor unerwartet stark um 7,5 % gewachsen und hat seinen Anteil am chinesischen Bruttoinlandsprodukt von 52,3 % auf 54,1 % ausgeweitet. Die Anleger sollten deshalb nicht nur auf die Industriedaten schauen, die geplant schwächer ausfallen als in den letzten Jahren, sondern den florierenden Dienstleistungsbereich in ihre Konjunktur- und Börsenüberlegungen einbeziehen.

Mit dem September naht zwar der historisch schwächste Börsenmonat des Jahres, vor dem viele Anleger „Angst“ haben – aber da der Saisonverlauf 2016 bisher völlig untypisch war, muss auch der kommende Monat nicht unbedingt furchteinflößend werden. Jedenfalls nicht für langfristig orientierte Anleger mit breit aufgestellten international ausgerichteten Depots.

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