Ratschläge und gute Nachrichten sind am Aktienmarkt derzeit gefragt – Börsenlegende Gottfried Heller liefert sie in der aktualisierten Auflage seines Bestsellers „Revolution der Geldanlage“. Zudem beschreibt er, warum die Deutschen so aktienfeindlich sind. FOCUS Online veröffentlicht einen Auszug.
Für Aktienanleger – für solche, die es schon sind, und für andere, die es werden sollten – habe ich noch einige Ratschläge und gute Nachrichten zusammengefasst.
Aktien bieten Risikoaufschlag
Lernen Sie zu unterscheiden: Es gibt vermeintliche, also unrealisierte Verluste von Aktien. Das wirkliche Anlagerisiko entsteht durch realisierte, also unwiederbringliche Verluste. Weil Aktien wegen ihrer Schwankungen als risikoreicher eingestuft werden, müssen sie folglich einen Risikoaufschlag bieten. Dieser Aufschlag gegenüber Zinsanlagen wird aber noch zusätzlich gesteigert, weil das Risiko von Aktien wegen ihrer kurzfristigen Schwankungen als höher eingestuft wird, als es langfristig in Wirklichkeit ist.
Hinzu kommt, dass Anleger Verluste stärker gewichten als Gewinne und sie deshalb eine entsprechend hohe Risikoprämie verlangen. Das erklärt, warum Aktien langfristig gegenüber Staatsanleihen nach Abzug der Inflationsrate – also real – historisch eine um drei bis vier Prozentpunkte höhere Rendite pro Jahr abwerfen. Aktuell sind es sogar sage und schreibe sechs bis sieben Prozentpunkte!
Rendite und Risiko kann man nur in der Gesamtheit aller Vermögensteile beurteilen. Dazu gehören, neben Anlagen in Wertpapieren (Aktien, Anleihen oder Sparbriefen), Immobilien, Kapitallebensversicherungen, Bankguthaben (Tages- oder Festgeld), Bausparverträge, immer abzüglich der Schulden (Kredite). Besonders bei der Aktienanlage sollte man immer das Gesamt-Portfolio im Auge haben.
Es kommt nicht auf die Entwicklung der Einzelinvestments an
Viele Anleger in Aktien oder Aktienfonds machen den Fehler, sich über Einzelinvestments, die im Verlust stehen, zu ärgern und sich in Details zu verheddern. Denen will ich sagen, dass in einem schon länger bestehenden Portfolio sich nicht alle Bestandteile gleich gut entwickeln, ja dass oft einige Werte auch im Verlustbereich stehen. Wenn dem nicht so wäre, wenn man in der Lage wäre, nur Gewinner ausgewählt zu haben, dann wäre es ja nicht nötig, die Investments zu streuen – zu diversifizieren.
Wer so treffsicher ist, dass sich alle Investments gut entwickeln, kann sich bei mir melden. In meinem Leben ist mir bisher noch niemand begegnet, der das hinkriegt. Mein Ratschlag: Betrachten Sie zunächst immer das Gesamt-Portfolio. Ob es im Rahmen der allgemeinen Marktentwicklung liegt. Erst danach erfolgt die sachliche Prüfung der Einzeltitel: ob verkaufen, nachkaufen oder auch gar nichts tun.
Risikominimierung durch weniger Emotionen
Das führt mich gleich zu einem anderen Fehlverhalten vieler Anleger: Sie strapazieren unnötig ihre Nerven, wenn sie den Stand ihres Portfolios tagtäglich betrachten. Das ist nicht nur zwecklos, sondern sogar schädlich. Was soll denn dabei herauskommen? Ist es ein Tag mit Börsenverlusten, wird es ihnen Schmerzen bereiten, ihnen vielleicht gar den Schlaf rauben. Und noch schlimmer: Es könnte sie zu Fehlentscheidungen verleiten. Damit nicht genug: Die Verhaltenswissenschaft (Behavioral Science) hat herausgefunden, dass Anleger umso risikoscheuer werden, je häufiger sie ihr Portfolio betrachten. Sie laufen also Gefahr, einen doppelten Schaden zu erleiden: materiell und psychisch.
„Der Investor ist sein eigener schlimmster Feind“
Der »Vater der Finanzanalyse« und Lehrmeister von Warren Buffett, Professor Benjamin Graham, hat über das Verhalten von Anlegern geurteilt: »Der Investor ist wahrscheinlich sein eigener schlimmster Feind.« In der Finanzbranche gilt als ausgemachte Tatsache, dass der »fühlende« Mensch das schwächste Glied in der Anlagekette ist. Im Gegensatz dazu steht der rationale Mensch, der Homo oeconomicus.
Ein Bauingenieur wird ganz rational planen und handeln, wenn er eine tragfähige, sichere Brücke bauen muss. Ein Kaufmann wird ebenso rational denken und handeln, wenn es darum geht, ein bestimmtes Gut zu kaufen oder zu verkaufen. Beide werden aber zu gefühlsgetriebenen Menschen, wenn sie sich als Anleger in die Börsenwelt begeben, denn dieses Umfeld lässt sich nicht rational planen oder berechnen. Jetzt kommen ihnen die Emotionen in die Quere und die verleiten zu Fehlurteilen und Kurzschlusshandlungen.
Einmal im Monat ins Portfolio schauen, reicht
Das ist der Hintergrund, vor dem André Kostolany folgende Metapher geprägt hat: »Ein Anleger soll in ein solides, internationales Aktiendepot investieren, dann Schlaftabletten nehmen und schlafen, und wenn er nach fünf oder sechs Jahren aufwacht, wird er meist eine angenehme Überraschung erleben.« Diese Metapher wird von der Finanzpresse als eine sogenannte Buy-and-Hold-Strategie aufgefasst. Dies ist jedoch völlig falsch: Sie ist sinngemäß eher als psychologischer Ratschlag gedacht, um die Anleger vor ihren eigenen Dummheiten und Fehlreaktionen zu bewahren. Insbesondere dann, wenn es an den Börsen blitzt und donnert.
Ganz in diesem Sinne lautet mein Ratschlag: Wenn Sie ein solides, gut diversifiziertes Portfolio besitzen (wie ein solches zu erstellen ist, lesen Sie in Kapitel 10), dann genügt es vollkommen, höchstens einmal im Monat hinzuschauen. Noch besser ist es, einmal im Quartal oder im Halbjahr einen Blick darauf zu werfen. Sonst haben Sie etwas falsch gemacht.
Risikominimierung durch Zeitdiversifikation
Doch nun zu den guten Botschaften in Sachen Risikobewertung: Die Zeit ist in Sachen Risikominimierung auf der Seite des Anlegers. Das Risiko nimmt bei einem längeren Zeithorizont von fünf Jahren oder mehr im Zeitablauf ab. Eine wirksame Methode zur indirekten Senkung des nicht »wegdiversifizierbaren« Risikos besteht daher in der Verlängerung des Anlagehorizonts. Die Wahrscheinlichkeit, dass die zu erwartende Durchschnittsrendite des Portfolios durch die sogenannte Zeitdiversifikation tatsächlich erreicht wird, ist umso höher, je länger der Anlagezeitraum ist.
Kurz und treffend hat mein verstorbener Partner André Kostolany diesen Sachverhalt so beschrieben: »Mit dem Hintern verdient man an der Börse mehr als mit dem Hirn.« Historisch betrachtet betrug die Wahrscheinlichkeit für einen Gewinn beim DAX nach fünf Jahren 86 Prozent. Wer zehn Jahre Geduld aufbrachte, erzielte in 97 Prozent der Fälle ein positives Ergebnis. Und ab einem Anlagezeitraum von 15 Jahren betrug die Wahrscheinlichkeit der Erzielung eines positiven Ergebnisses gar 100 Prozent. Man muss sich das vor Augen führen. Seit 1948 gab es keinen Zeitraum über 15 Jahren, in dem es unter dem Strich für die Geldanlage beim DAX einen Verlust zu verzeichnen gab.
Das ideale Ziel: ein disharmonisches Portfolio
Meine zweite gute Nachricht für Anleger: Durch eine ganz spezifische Form der Diversifikation kann ein großer Teil des Risikos »wegdiversifiziert« werden, ohne dass dabei die Rendite geschmälert wird. »Man soll nicht alle Eier in einen Korb legen« ist ein gängiger Spruch dafür, dass man Aktien breit streuen soll. Im Fachjargon heißt dies »diversifizieren«, als Substantiv »Diversifikation«.
Diversifikation ist wohl das wichtigste Instrument zur Senkung von Kurs- und Renditeschwankungen bei Wertpapieranlagen. Empirische Untersuchungen haben ergeben, dass die Depots der Deutschen – bei den wenigen, die überhaupt ein Aktiendepot besitzen – dramatisch unterdiversifiziert sind. Sie sind schwerpunktmäßig in deutsche und europäische Standardwerte oder Aktienfonds und hie und da in einen Nebenwert investiert. Daneben halten sie in Mischdepots Bundesanleihen oder Rentenfonds und glauben, damit ausreichend diversifiziert zu sein.
Da ausgerechnet der DAX einer der schwankungsreichsten Aktienindizes ist, erleiden deutsche Aktienanleger starke Wertschwankungen, vor allem in Zeiten, wenn es an den Börsen längerfristig und stark abwärtsgeht. Dies könnte einer der Gründe sein für die im internationalen Vergleich übertriebene Aktienfeindlichkeit der Deutschen.
Der typische Anleger ignoriert viele Aktienklassen
Der typische Anleger ignoriert zu seinem eigenen Schaden viele – vor allem internationale – Aktienklassen, die zwar für sich genommen relativ risikoreich sein können, jedoch im Ensemble eines Portfolios mit dem richtigen Mischungsverhältnis die langfristige Rendite erhöhen und dabei sogar das Gesamtrisiko reduzieren. Diversifizieren eines Depots heißt, es mit ungleichartigen Bestandteilen zu bestücken.
Ausgedrückt wird dies mit dem Begriff Korrelation, der Wechselbeziehung zweier Größen. Dies ist eine Kennzahl aus der Statistik, die den Grad der Parallelität der Entwicklung zweier Größen, zum Beispiel die Kursveränderungen zweier Aktien, widerspiegelt. Die Korrelation wird gemessen in Form des Korrelations-Koeffizienten, der zwischen +1 und -1 liegen kann. Dabei steht +1 für eine vollständige Korrelation, sprich Parallelität, 0 steht für eine vollständige Unabhängigkeit und -1 beschreibt die exakt gegenläufige Entwicklung. Ein Aktien-Portfolio, dessen Bestandteile durchweg im Bereich von +1 liegen, ist nicht diversifiziert. Je niedriger die Korrelation zwischen zwei Assetklassen, desto besser eignen sie sich für die Diversifikation als »Risikosenker«.
Zwei Beispiele: Der MSCI Index der Emerging Markets (Schwellenländer) korreliert mit dem MSCI Index der Industrieländer mit +0,79. Das ist gut für die Diversifikation. Noch besser ist die Korrelation mit einer »risikofreien« Anlage, das sind deutsche Bundesanleihen (REXP) und der deutsche Geldmarkt mit -0,82. Über die Bedeutung dieser Verhältniszahl später mehr im Zusammenhang mit Mischdepots oder Mischfonds. Als Grundsatz bei der Zusammensetzung (Strukturierung) gilt, dass es sich lohnt, einen Vermögenswert dem Portfolio beizumischen, sobald er eine Korrelation von weniger als +0,9 aufweist – selbst dann, wenn er keinen erwartbaren positiven Beitrag zur Rendite leisten sollte.
Seltsame Investmentwelt, die zum Erfolg führt
Das nachgewiesene Ergebnis zeigt: Das Gesamtrisiko eines stark diversifizierten Weltaktien-Portfolios, dessen Assetklassen schwach korrelieren, ist kleiner als der Durchschnitt der darin enthaltenen Einzelrisiken und der Ertrag ist größer. Kurz gesagt: Für eine optimale Diversifikation eines Portfolios suchen wir Assetklassen, deren Verhältnis in puncto Kursverhalten untereinander möglichst suboptimal – disharmonisch – ist. Dies ist schon eine seltsame Investmentwelt. Während wir im menschlichen Leben nach Harmonie streben, um Streit und Ärger zu vermeiden, suchen wir bei der Portfoliogestaltung größtmögliche Disharmonie, um am Ende, dank geringerem Risiko, weniger Ärger und mehr Ertrag zu ernten.
Leider lässt sich trotz aller Mühe das Risiko eines Portfolios auch durch noch so hohe Diversifikation nicht ganz beseitigen. Das hängt damit zusammen, dass die Ursachen für die Wertschwankungen von Aktien auf drei unterschiedlichen Ebenen zu suchen sind: Die Risikofaktoren auf der Ebene, die das jeweilige Unternehmen betreffen. Dazu die Risikofaktoren auf der Ebene, welche die jeweilige Aktienklasse betreffen und drittens die Risikofaktoren auf der Ebene, die alle Aktien weltweit betreffen.
Das Einzelwertrisiko ist vollständig »wegdiversifizierbar«. Es liegt ja auf der Ebene eines spezifischen Unternehmens und kann mittels eines Pakets von Aktien, wie etwa Indexfonds oder ETFs, eliminiert werden. Das Aktienklassenrisiko kann ebenfalls vollständig »wegdiversifiziert« werden, da es auf Ursachen beruht, die spezifisch jeweils nur eine oder wenige Aktienklassen betreffen, sei es innerhalb eines Marktes – zum Beispiel Auto-, Bank- oder Versorgungsaktien. Oder in einem internationalen Depot die diversen Öl- oder Rohstoffaktien.
Ein Gesamtmarktrisiko besteht immer
Es ist das Gesamtmarktrisiko, das sich leider nicht »wegdiversifizieren« lässt. Wenn die Aktienmärkte weltweit einbrechen, wenn große Verschiebungen bei den internationalen Wechselkursen auftreten oder wenn die Konjunktur der großen Volkswirtschaften einbricht, dann bewirkt dies eine unvermeidliche Rückkopplung auf die Anlagegattung Aktien insgesamt.
Zwar lassen sich durch eine breite internationale Streuung die unternehmensspezifischen und auch die aktienklassenspezifischen Renditeschwankungen eines Aktien-Portfolios eliminieren. Denn gerade bei diesen beiden Risikotypen liegt die Korrelation zwischen einzelnen Aktien und einzelnen Aktienklassen häufig unter +1,0. Dieses »wegdiversifizierbare« Risiko liegt bei etwa 60 Prozent des Gesamtrisikos, als gesamtmarktbezogenes, nicht »wegdiversifizierbares« Risiko verbleiben 40 Prozent des Gesamtrisikos. Schon mit etwa 13 bis 14 weltweit im Portfolio vertretenen Aktienklassen (nicht Einzelaktien, wie viele glauben) ist das Portfolio optimal diversifiziert und damit sind die 60 Prozent des »wegdiversifizierbaren« Risikos eliminiert.