Meine Meinung

Ich finde es äußert schade, dass Jens Weidmann als Bundesbank-Chef zurücktritt. Aber ich kann ihn verstehen. Er galt eine Zeitlang als Favorit für den einflussreichen Posten des EZB-Präsidenten. Aber er hatte keine Chance gegen die Phalanx der Eurozonen-Mitglieder, die eine möglichst laxe Geldpolitik wollen. Deren Staatsfinanzen wären ohne die Billionen schweren Anleihekäufe der EZB noch viel mehr zerrüttet, als sie es ohnehin sind. Kredite aufnehmen und dafür keine Zinsen zahlen, das ist nun einmal eine feine Sache für notorische Schuldenmacher.

Weidmann hat sich bis zuletzt tapfer gegen die Übermacht im EZB-Rat geschlagen. Er hat immer wieder gewarnt und gegen wichtige Beschlüsse gestimmt. Aber er stand auf verlorenem Posten, auch weil er von Seiten der Merkel-Regierung nicht die nötige Unterstützung bekam.

Darin ähnelt er seinem Vorgänger Axel Weber. Der hatte 2011 ebenfalls das Handtuch als Bundesbankpräsident geworfen, weil er gegen den Widerstand vieler EU-Staaten nicht EZB-Präsident werden konnte. Denn auch er hielt die Fahne der „alten“ verantwortungsvollen Bundesbankpolitik hoch, und er war skeptisch gegenüber dauernden Niedrigzinsen und einer indirekten Staatsfinanzierung mit der Druckerpresse. Jürgen Stark, der ehemalige Chefvolkswirt der EZB, trat ebenfalls 2011 von seinem Posten zurück. Deutsche Stimmen der Vernunft haben es also seit der Finanzkrise sichtlich schwer in der EZB.

EZB-Falken sind eine aussterbende Spezies

Das derzeitige kleine Häuflein der so genannten „Falken“ im EZB-Rat, die vor Inflationsgefahren durch die nicht enden wollende expansive Geldpolitik warnen, ist mit Weidmanns Rücktritt ihrer stärksten Stimme beraubt worden. Da die als Favoriten für seine Nachfolge genannten Kandidaten Isabel Schnabel (EZB-Direktorin) und Marcel Fratzscher (DIW-Präsident) nicht in dem Ruf stehen, gegen die extrem lockere Geldpolitik aufzustehen, wird es der Mehrheit der Euroländer noch leichter fallen, die EZB als willfährigen Helfer ihrer verantwortungslosen Schuldenpolitik einzuspannen. Kein Wunder, dass die Nachrichtenagentur Reuters nach Weidmanns Rücktritt geldpolitische Falken als „gefährdete Spezies“ bezeichnet hat.

Und das bedeutet wohl, dass die Null- und Minuszinsen noch lange bestehen bleiben dürften, und dass die massiven Anleihekäufe womöglich später und moderater zurückgefahren werden als geplant.

Im Gegensatz zu Weidmann verharmlosen viele andere Mitglieder im EZB-Rat die Folgen der laxen Politik für die Inflation immer noch. Sie sehen den Preisauftrieb nur als vorübergehend an. So eine Sichtweise ist aber brandgefährlich. Denn es kristallisiert sich immer deutlicher heraus, dass die Inflation Fuß gefasst hat, und dass die Gefahr wächst, dass sich der Preisauftrieb als hartnäckig und langlebig erweist. Falls die EZB nicht bald etwas dagegen unternimmt. Mir scheint, dass der Eurozone unruhige Zeiten bevorstehen.

Die Inflationsrisiken nehmen deutlich zu

Die Triebfedern der Inflation nehmen zu und werden kräftiger. Gut ablesen lässt sich das an den deutschen Erzeugerpreisen für September. Sie haben um 14,2% zugelegt, so kräftig wie seit 1974 nicht mehr. Das wird sich natürlich nicht eins zu eins in den Verbraucherpreisen niederschlagen. Aber ein Teil davon wird den Konsum verteuern. Vor allem von den stark gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise gehen Inflationsimpulse aus. Und das hat, zusammen mit den unterbrochenen Lieferketten und den deutlich verteuerten Transportkosten, auch viele andere Bereiche erfasst.

Da wegen der Geldpolitik der Notenbanken weltweit mehr Geld als Waren auf dem Markt ist, steigen nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage nun einmal die Preise.

Nicht zuletzt ziehen auch die Lohnkosten kräftiger an – eine Entwicklung, die sich meines Erachtens eher noch verstärken wird, weil sich die Gewerkschaften bei aktuell 4,1% Inflationsrate in Deutschland und 5,4% in den USA nicht mehr mit Tariferhöhungen von 2% pro Jahr abspeisen lassen werden.

In so einem Umfeld weiterhin Null- und Minuszinsen festzuschreiben, ist fast schon obszön. Die in Bankeinlagen und Anleihen angelegten Ersparnisse schmelzen dadurch real, also nach Abzug der Inflationsrate, wie Schnee in der Sonne. Die früher oft beklagte kalte Enteignung durch die EZB wird zur heißen Enteignung. Die Sparer bezahlen die Zeche dafür, dass die Staaten und sonstigen Schuldner ungebremst Schulden machen können.

Für die EZB besteht Handlungsbedarf

Nicht nur für Sparer ist eine wachsende Inflationsrate tragisch, auch für die Konsumenten. Die Kaufkraft ihrer Einnahmen schrumpft, und das wird früher oder später den Konsum belasten und damit auch die Konjunktur. Für die Aktienmärkte ist eine anhaltend expansive Geldpolitik zwar kurzfristig gut, weil es an Anlagekonkurrenz fehlt. Aber mittelfristig verstärkt sie die herrschende Unsicherheit, so wie ich es in „Meine Meinung“ vom 13.9. beschrieben habe. Für die EZB besteht also dringender Handlungsbedarf. Aber ich fürchte, unter dem Druck der Schuldnerstaaten und angesichts schwindender Gegenwehr durch Stabilitätskämpfer wie Jens Weidmann, werden die Notenbanker zu spät reagieren. Und damit riskieren, dass die Inflation ins Laufen kommt. Dann muss die EZB irgendwann umso stärker auf die Bremse treten. Und das würde die Konjunktur gefährden und die Aktienmärkte ernsthaft belasten.

 

Foto: Deutsche Bundesbank (2)