Meine Meinung
Als mir ein Freund von einem, wie er sagte, „schlimmen Artikel“ berichtete, den er über André Kostolany gelesen hatte, konnte ich mir gar nicht vorstellen, was man so Schlimmes über „Kosto“, meinen langjährigen Freund und Geschäftspartner schreiben könnte. Als ich mir den Beitrag ansah, der am 3. August in faz.net, dem Onlineangebot der FAZ erschienen ist, wunderte ich mich schon bei der Überschrift: „Warum man mit Ratschlägen von Börsenguru Kostolany schlecht beraten ist“, hieß es da. Beim Lesen des Artikels, verfasst von Professor Stefan Mittnik, dem Mitgründer des Robo-Advisors Scalable, habe ich dann immer wieder ungläubig den Kopf geschüttelt angesichts des Unsinns, der da über Kosto geschrieben steht.

Seine Aussage, dass man mit Kostolanys Ratschlägen schlecht beraten sei, begründet der Autor mit zwei Annahmen, von denen die eine fragwürdig ist und die andere das komplette Gegenteil dessen behauptet, was Kostolany jahrelang unablässig angeprangert hat.

Ausgangspunkt von Mittniks Beitrag ist das berühmte Schlaftabletten-Beispiel. Allerdings ist es ziemlich seltsam verkürzt und geändert: „Kaufen Sie Aktien, nehmen Sie Schlaftabletten und schauen Sie die Papiere nicht mehr an. Nach vielen Jahren werden Sie sehen: Sie sind reich.“

Kostos Ratschlag ist viel differenzierter

Abgesehen davon, dass ich von Kosto das Wort reich fast nie gehört habe, war sein oft wiederholter Rat, den ich von ihm zigmal gehört und oft gelesen habe, viel vorsichtiger und fachmännischer formuliert:

„Ein Anleger sollte eine solide internationale Aktienpalette zusammenstellen, dann in die Apotheke gehen und Schlaftabletten nehmen. Und wenn er nach 5 bis 6 Jahren aufwacht, wird er meistens eine angenehme Überraschung erleben.“

Kosto hatte an den Börsen schon so viel erlebt, dass er sich nie zu solch einer apodiktischen Aussage, wie sie Mittnik zitiert, hinreißen ließ. Er wusste aus eigener Erfahrung, wie unberechenbar die Märkte sein können und war deshalb in seinen Aussagen betont vorsichtig. Anlegern hätte er nie quasi versprochen, dass sie nach vielen Jahren reich sein würden, wie es das Zitat in faz.net glauben lässt.

Professor Mittnik wertet in dem faz.net-Artikel (der in den Tagen danach fast wortgleich, aber mit anderer Überschrift in vielen anderen Websites mit einem Link zur Scalable-Homepage veröffentlicht wurde) Kostos Beispiel als Buy-and Hold-Empfehlung. Wenn man das Zitat jedoch nicht aus dem Zusammenhang reißt, wird klar, dass mein Freund und Geschäftspartner, der die Börse vor allem aus dem Blickwinkel der Psychologie analysiert hat, damit etwas anderes gemeint hat: Mit den Schlaftabletten wollte er sinngemäß die Anleger davor bewahren, bei Börsenturbulenzen in Panik zu verfallen und zu Tiefstkursen zu verkaufen.

Der schärfste Kritiker des Neuen Markts

Das, was Freunde und ehemalige Kunden besonders schlimm an dem faz.net-Artikel fanden, war die Unterstellung, Kostolany-Jünger, wie Mittnik spöttisch Kostos Anhänger bezeichnet, hätten sich vor 20 Jahren sicherlich Aktien aus dem Neuen Markt ins Depot gelegt – und damit enorme Kursverluste erlitten. Hätte der Autor nur ein paar Minuten im Internet recherchiert, hätte er das nie und nimmer schreiben können. Denn Kostolany-Anhänger wussten natürlich, dass er immer wieder abgeraten hat, Aktien vom Neuen Markt zu kaufen. Kosto war vermutlich der schärfste Kritiker der Auswüchse dieses Wild-West-Börsensegments. Er hat das Treiben am Neuen Markt immer und immer wieder als Betrug bezeichnet, und dies auch in einer Kolumne in „Capital“ im Mai 1998 mit dem Titel: „Betrug am Neuen Markt?“ überdeutlich geschrieben. Und im September 1998 hat er seine harsche Kritik in einer denkwürdigen Talkshow im NDR mutig vertreten. Im Streitgespräch mit dem „König des Neuen Markts“ wie Mobilcom-Gründer Gerhard Schmid genannt wurde, warnte er vehement vor den Betrügereien am Neuen Markt – und wurde ausgelacht. Schade, dass Kosto nicht mehr erlebt hat, wie sehr er Recht bekam: Der Neue Markt-Index stürzte ab Anfang 2000 um mehr als 90 % ab.

Kostos scharfe Kritik am neuen Markt erlebte ich zum letzten Mal drei Monate vor seinem Tod. Im Juni 1999 besuchte ich ihn in seiner Wohnung in Paris und sprach die irrwitzigen Auswüchse am Neuen Markt an. Er war schon sehr gebrechlich. Aber er richtete sich auf und seine Stimme nahm jenen bedrohlichen Ton an, wenn er einen Missstand anprangerte. Er sagte: „Es wird ein Blutbad geben. Ich rate meinen Lesern nicht nur ab, im Neuen Markt zu investieren – ich verbiete es ihnen“.

Da sich André Kostolany nicht mehr gegen Angriffe und Unterstellungen wehren kann, habe ich das für meinen Freund und Geschäftspartner übernommen: Ich habe einen Leserbrief an die FAZ-Redaktion geschrieben, der leider noch nicht abgedruckt wurde. Und hier auf meiner Website, die, wie ich weiß, von vielen Anlegern besucht wird, die Kostos Weisheiten noch von ihm persönlich oder aber aus seinen Büchern und Vorträgen kennengelernt haben.