Meine Meinung

In jüngster Zeit bin ich immer wieder gefragt worden, wie das zusammenpasst: Je schlechter die Konjunkturnachrichten in den letzten Wochen ausgefallen sind, desto besser haben sich die Aktienbörsen entwickelt. Dieser Gegensatz irritiert viele Anleger ganz gehörig und hindert sie daran, in Aktien zu investieren. Schließlich haben Konjunkturexperten weltweit ihre Wachstumsprognosen für dieses Jahr in den letzten Monaten kräftig gestutzt – am meisten für Europa, und hier vor allem für Deutschland. So haben die Wirtschaftsweisen ihre Herbst-Prognose von 1,5 % Wachstum auf 0,8 % nahezu halbiert, die Weltwirtschaft soll nach 3,2 % nur noch um 2,7 % zulegen. Kann man angesichts solcher Aussichten in Aktien anlegen?

Ich kann Sie beruhigen: Man kann. Des Rätsels Lösung ist einfach. Börse und Wirtschaft gehen nicht Hand in Hand: Die Aktienmärkte eilen der Konjunktur stets voraus – meistens um sechs bis neun Monate. Sie gelten nicht ohne Grund als die besten Wirtschaftsbarometer und haben den Konjunktureinbruch von 2019 folgerichtig bereits 2018 vorweggenommen – beim DAX beispielsweise mit einem Verlust von über 18 %. Wenn wir die Börsenentwicklung  richtig einschätzen wollen, müssen wir also vom Beginn des Aktienaufschwungs aus – das war zur Jahreswende – in etwa bis zum Sommer nach vorn blicken. Mit anderen Worten: Die Aktienmärkte signalisieren, dass die Weltkonjunktur etwa zur Jahresmitte ihren Tiefpunkt erreichen und anschließend wieder nach oben drehen wird. Das klingt aus mehreren Gründen plausibel:

Erstens haben die Notenbanken schon reagiert und ganz klar auf Expansion umgeschaltet: Nachdem die amerikanische Fed noch im Dezember die Zinsen erhöht hatte, will sie nun die Kreditkosten nicht weiter anheben und zudem sogar die Liquidität bei Bedarf wieder erhöhen.

Auch die EZB hat auf ihrer letzten Sitzung entschieden, die Banken mit neuen massiven Liquiditätshilfen zu überschwemmen. Das soll die Kreditvergabe ankurbeln und so die Wirtschaft wieder in Schwung bringen. Und „ganz nebenbei“ ist das wieder einmal eine Maßnahme, mit der  EZB-Chef Mario Draghi vor allem die notleidenden Banken in seinem Heimatland Italien über Wasser halten will. Sozusagen eine letzte gute Tat für seine Landsleute, bevor im Herbst seine Präsidentschaft endet. Die EZB hat überdies klar gemacht, dass sie auch in diesem Jahr nicht von ihrer Nullzinspolitik abrücken wird. Die Leidenszeit für Zinssparer geht also weiter, ich rechne allerfrühestens im Frühjahr 2020 mit der ersten Zinserhöhung.

Zweitens unternimmt China alles, um die Wachstumsschwäche des Landes zu überwinden – und wenn die zusammen mit den USA stärkste Wirtschaftsmacht der Konjunktur auf die Sprünge helfen will, dann klotzt sie wie üblich, statt nur zu kleckern.

Die Regierung in Peking  hat ein gewaltiges Maßnahmenbündel geschnürt, von Steuersenkungen für  bestimmte Bereiche über Kredithilfen für Unternehmen und Private bis hin zu massiven Infrastrukturprogrammen. China hat schon einmal die Weltkonjunktur gerettet, das war in der Finanzkrise 2008/2009. So schlimm wie damals ist es zwar um die Weltwirtschaft jetzt bei weitem nicht bestellt – aber wenn China anschiebt, dann hat das auch jetzt wieder erhebliche positive Effekte weltweit, zumal auch die Notenbank ihren Teil mit Zinssenkungen und  Krediterleichterungen beiträgt. Also: Regierung und Notenbank packen gemeinsam an.

Diese beiden Einflussfaktoren werden meiner Ansicht nach die Konjunktur mit gewisser Verzögerung vor einem weiteren Rückgang bewahren und anschließend neue  Aufschwungskräfte entfesseln. Deshalb steht der Kursanstieg an den Weltbörsen, der den  meisten wichtigen Aktienindizes im bisherigen Jahresverlauf trotz der schwächeren letzten Tage Gewinne im Bereich von rund 10 % beschert hat, Chinas Börsen sogar 25%, auf recht stabilen Säulen. Das bedeutet allerdings nicht, dass es keine Rückschläge geben wird. Ganz im Gegenteil. Die politischen Belastungen, vom Brexit über den Handelsstreit US-China bis hin zu drohenden militärischen Auseinandersetzungen haben ja nicht abgenommen, und sie werden immer wieder für Verunsicherung und Kursverluste sorgen.  Die Volatilität, also die Schwankungen an den Börsen, werden eher noch zunehmen.

In diesem Umfeld sollten Langfristanleger ihr Depot möglichst breit international streuen und dabei günstig bewertet Value-Aktien, Small Caps und Emerging Markets-Aktien übergewichten.

In meinem Buch „Die Revolution der Geldanlage“ habe ich diese Strategie und ihre Umsetzung in die Praxis – vor allem mit kostengünstigen ETFs – ausführlich beschrieben. Wer sich nicht selbst die Mühe der Wertpapierauswahl machen will, kann in den von mir 2018 initiierten „Pro Select Weltfonds“ (ISIN-Nr. LU1696810313) investieren, der die in meinem Buch beschriebene Strategie in die Tat umsetzt – bisher übrigens sowohl in puncto Wertentwicklung als auch deutlich geringeren Schwankungen sehr erfolgreich.

 

Bild: Travis Wolfe/shutterstock.com