Meine Meinung

Auch für mich kam es vollkommen überraschend, dass die Briten für den „Brexit“ gestimmt haben. Nachdem die Umfragen zuvor eine knappe und die Wetten sogar eine haushohe Mehrheit für „Bremain“ – also den Verbleib – vorausgesagt hatten, waren ja auch die Börsen in den Tagen vor dem Referendum voll auf einen Sieg der EU-Befürworter umgeschwenkt und hatten die vorangegangenen Kursverluste wieder wettgemacht. Was dann geschah, war das Natürlichste und Logischste auf der Welt: Innerhalb eines Börsentags verloren die wichtigsten Aktienindizes in etwa so viel, wie sie in den Tagen zuvor gewonnen hatten.

Schließlich wurden fast sichere Erwartungen enttäuscht, und das mögen kurzfristig orientierte Zocker wie Hedgefonds nun einmal gar nicht. Die müssen umgehend reagieren. Trotzdem überschlugen sich die Panikmeldungen in den Medien. Fast alle sprachen von Crash – vor allem in Deutschland. Das mag daran liegen, dass der DAX, der traditionell so stark schwankt wie ein betrunkener Seemann, am Freitag, den 24. Juni, 6,8 % verlor. Dabei ging fast unter, dass der Leitindex der Welt, der Dow Jones, gerade einmal 3,4% einbüßte und der MDAX 4,5%. In London, wo die Brexit-Bombe  eingeschlagen war, gab der FTSE 100 sogar nur um 3,2% nach, also weniger als halb so viel wie der DAX. Ich rufe die Anleger schon lange dazu auf, nicht den wankelmütigen DAX als Maßstab für Aktienveränderungen heranzuziehen, sondern breite internationale Indizes. Und ich rate auch dazu, jedes Aktiendepot nicht allein am DAX sondern breit international auszurichten, weil das die Rendite verbessert und das Risiko reduziert.

Nun aber zur entscheidenden Frage: Wird der Brexit die Welt in eine Rezession stürzen und damit die Börsen in einen Crash, so wie viele prophezeien?

Vor dem Referendum haben natürlich beide Seiten die Folgen übertrieben stark an die Wand gemalt. Jetzt, nachdem Wirtschaftsforscher und Bankvolkswirte nachrechnen, kommen sie plötzlich auf viel weniger drastische Auswirkungen als noch vor ein oder zwei Wochen. Im Durchschnitt haben Analysten ihre Wachstumserwartungen für 2016 und 2017 für die EU ohne Großbritannien um 0,1 bis 0,2 % jährlich zurückgenommen. Das liegt im Rahmen der statistischen Ungenauigkeit und ist sicher kein Grund, den Teufel an die Wand zu malen. Jedenfalls wird der Schaden in Großbritannien größer sein als in der EU und die Arbeitslosigkeit wird zunehmen. Dabei wird es gerade die am härtesten treffen, die für den Brexit gestimmt haben in dem Glauben, dass nachher alles besser werde.

Auch an den Börsen wird nicht so heiß gegessen werden, wie es zuvor gekocht worden war. Die Unsicherheit wird zwar groß bleiben und damit auch die Kursschwankungen – aber die Zeichen stehen unverändert auf einen schönen Börsensommer.

Zum einen werden sich die Austrittsverhandlungen ungefähr zwei Jahre lang hinziehen. Solange ändert sich wenig an den realen Beziehungen der EU mit den Briten. Natürlich herrscht solange Unsicherheit, vor allem im Vereinigten Königreich. Und das wird die Investitionen dort dämpfen. Zum anderen wird die Wirtschaft und letztlich auch die Politik alles daran setzen, um den Kollateralschaden für die Unternehmen in der EU so klein wie möglich zu halten. Deshalb werden auch die Briten weniger leiden als es manche EU-Politiker gern hätten.

Hinzu kommt ein ganz wesentlicher Punkt: Die Notenbanken können gar nicht anders, als noch viel vorsichtiger zu agieren. Von der EZB und der Bank of Japan hatte auch vor dem Brexit-Referendum in nächster Zeit ohnehin keine Zinserhöhung gedroht, und die US-Fed wird in diesem Jahr wahrscheinlich gar nicht mehr an der Zinsschraube drehen, nachdem Anfang des Jahres noch mit drei bis vier Anhebungen gerechnet worden war. Ja, manche Analysten kalkulieren sogar 2017 mit keiner oder höchstens einer Zinserhöhung. Das bedeutet, dass die Nullzinsphase in Europa und Japan und die Minizinsphase in den USA viel länger als erwartet anhalten wird. Bei 85 % aller Bundesanleihen müssen Anleger inzwischen draufzahlen, also Minuszinsen in Kauf nehmen – und diesen Irrsinn werden, je länger er dauert,  immer weniger Anleger mitmachen und wenigstens einen kleinen Teil ihrer Gelder in Aktien umschichten und damit die Kurse antreiben. Die Bank of America ermittelt monatlich die Cash-Quoten von Aktienfonds, und die waren im Juni mit 5,7 % des Gesamtvermögens so hoch wie zuletzt 2001 nach dem Al-Kaida-Angriff aufs World-Trade-Center. Normal sind 4,0 bis 4,5 %, in Börsenhaussen waren es auch schon 3 %. Hier steht also viel ängstliches Geld an der Seitenlinie, das nur darauf wartet, bei günstigen Kursen und nachlassender Volatilität in Aktien zu fließen.

Mein Fazit lautet deshalb: Sie sollten sich durch die Brexit-Wirren nicht ins Bockshorn jagen lassen. Für längerfristig orientierte Anleger, speziell auch für die Altersvorsorge, hat sich an den groben Rahmenbedingungen nicht so viel geändert, dass es eine radikale Anpassung der Depots notwendig machen würde. Also: Nur ruhig Blut!

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