Interviews
Fallende Messer, leere Taschen und Schlaftabletten: Börsenweisheiten gibt es viele. Doch wie viel Wahrheit steckt in solchen Sprüchen? „Einige sind richtig und sollten auch befolgt werden, andere dagegen völliger Blödsinn“, sagt Vermögensverwalter Gottfried Heller. Er hat 1971 gemeinsam mit dem mittlerweile verstorbenen Börsenguru André Kostolany in München die Fiduka gegründet – heute eine der ältesten unabhängigen Vermögensverwaltungen in Deutschland. Seitdem versucht Heller den Deutschen die Aktienkultur näherzubringen – unter anderem mit seinem Buch „Der einfache Weg zum Wohlstand – mehr verdienen, weniger riskieren und besser schlafen“. Im Gespräch mit unserer Zeitung erklärt Gottfried Heller, was an bekannten Börsenweisheiten dran ist.

Nie in fallende Messer greifen.

Das halte ich für Blödsinn. Eine Aktie, die fällt, ist nicht wie ein Messer, das senkrecht zu Boden fällt. Manche Aktien fallen langsam, andere schnell – wie in den vergangenen Wochen, als der Dax abgestürzt ist. Wer da blind verkauft hat, hat vielleicht einige Verluste vermieden. Meistens ist es allerdings so, dass man dann den richtigen Zeitpunkt zum Wiedereinstieg verpasst – und damit auch die Gewinne. Dazu kommen die Kosten, die bei jedem Kauf und Verkauf fällig werden. Mit Börsenweisheiten ist es wie mit Bauernregeln: Viele sind platt, manche schlichtweg falsch – und ein paar sind auf geheimnisvolle Art erstaunlich richtig. Der Spruch „Nicht alle Eier in einen Korb“ zählt zu den Weisheiten, die Anleger beherzigen sollten.

Kaufen Sie Aktien, nehmen Sie Schlaftabletten. Nach vielen Jahren werden Sie sehen: Sie sind reich.

Dieser Spruch meines Freundes André Kostolany lautet eigentlich ein wenig anders. Er sagte: „Kaufen Sie Aktien, nehmen Sie Schlaftabletten und schlafen Sie – wenn Sie aufwachen, werden Sie meist eine angenehme Überraschung erleben.“ Das Wort „reich“ hat er nie benutzt. Der Mensch ist das schwache Glied in der Anlagekette, die Menschen schwanken zwischen Gier und Angst. Wenn es an der Börse kracht, verkaufen sie. Wenn alles gut läuft, springen sie hinterher und kaufen teuer ein. Wenn sie – bildlich gesprochen – schlafen, kriegen sie das alles nicht mit und werden so vor Fehlreaktionen bewahrt. Entsprechend gilt der Spruch als psychologische Verhaltensregel – nicht als Empfehlung für „buy and hold“ (kaufen und halten).

Nicht alle Eier in einen Korb.

Das ist eine richtige Aussage. Es ist hochriskant, nur auf eine Aktie zu setzen. Genauso riskant ist es allerdings, nur auf einen Index zu setzen. Der Dax beispielsweise ist der schwankungsreichste Index weltweit – zuletzt fiel er um 12 Prozent. Der Dow Jones Industrial ist nur um die Hälfte gefallen. Man sollte international anlegen – und zwar, außer in Europa, möglichst sowohl in den USA als auch in Asien. Es ist statistisch belegt, dass die sogenannten Value-Aktien, die hohe Dividenden zahlen, langfristig besser abschneiden als Wachstumsaktien wie Amazon, Apple oder Google. Ins Depot sollte beides – allerdings sollte man Value-Werte übergewichten. Und: Man sollte die Nebenwerte nicht vergessen. Dax-Werte sind Dickschiffe, die Dividende und Stabilität bringen. Nebenwerte dagegen die Schnellboote, die eine Zusatzrendite erwirtschaften. Mit einem ETF (börsengehandelter Fonds) kann man zum Beispiel die 50 Titel des Nebenwerte-Index MDax günstig erwerben. Grundsätzlich würde ich momentan Technologietitel nicht empfehlen. Solche Wachstumswerte sind sehr volatil – nichts für Hasenherzen. Lukrativ sind derzeit dagegen Öl- und Konsumwerte sowie die Pharmabranche.

Buy on rumors, sell on facts. (Kaufe bei Gerüchten und verkaufe, wenn sie zu Fakten werden.)

Das ist auch Blödsinn. Heute werden über das Internet mehr denn je gezielt Gerüchte gestreut. Gerüchte werden oft gestreut, um die Kurse zu treiben. Oft sind falsche Zahlen in Umlauf, daraufhin steigt die Aktie. Derjenige, der die Gerüchte gestreut hat, verkauft – der Rest schaut in die Röhre, sobald sich das Gerücht als Lüge herausgestellt hat. Grundsätzlich ist das wie mit guten Tipps. Wenn mir jemand einen gibt, frage ich erstmal: Warum befolgen Sie ihn nicht selbst?

Hin und her macht Taschen leer.

Das ist ebenfalls richtig. Es kostet immer Spesen, wenn Sie Aktien kaufen. Außerdem kostet dieses Hin und her Gewinne. Das ist so ähnlich, wie wenn ein Gärtner etwas eingesät hat und der Pflanze sofort den Kopf abmäht, sobald sie ein wenig aus der Erde ragt. So wird daraus nie ein Krautkopf. Ein ähnlich dummer Spruch ist „An Gewinnmitnahmen ist noch keiner gestorben“. Man kann nur langfristig von Aktien profitieren. Der Anlagehorizont sollte mindestens bei drei oder vier Jahren liegen. Alles andere ist nur für Zocker.

Interview: Manuela Dollinger

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