Interviews

Düstere Weltansichten sind nicht die Sache von Gottfried Heller (84). Der Börsenexperte hat selbst in unruhigen Zeiten stets einen kühlen Kopf bewahrt und nach vorn geblickt. Aktienchancen sieht Heller 2020 vor allem in Europa, und dort in Branchen, die am stärksten unter dem Handelsstreit gelitten haben, also Chemie, Maschinenbau und Autobau.
Von Wolfgang Ehrensberger

 

Börse Online: Crashpropheten, die einen Zusammenbruch des Weltfinanzsystems vorhersagen, haben derzeit regen Zulauf. Wie gefährlich ist die aktuelle Gemengelage aus Handelskriegen, Niedrigzins, hoher Verschuldung und Konjunkturrisiken denn tatsächlich?
Gottfried Heller: Ich habe ein Problem mit dieser kategorischen Annahme, dass ein Crash bevorsteht. Wer sagt das denn? Derzeit wird in Deutschland in einer Weise mit dem Wort Crash hantiert, dass einem übel werden könnte. Wenn die Börse mal zwei oder drei Prozent schwankt, ist das schon ein Crash. In Deutschland werden Bücher, die das Wort Crash nur im Titel haben, zu Bestsellern. Es scheint fast so, als hätten die Deutschen eine Lust am Untergang. Tatsache ist: Crashpropheten sagen seit Jahren den Weltuntergang voraus, und er ist trotzdem nicht eingetreten.

2008 hat es einen richtigen Crash gegeben, und auszuschließen ist ja nicht, dass ein solches Ereignis wieder auftritt.
Moment: Der Crash 2008 ist eben nicht von Aktien ausgegangen, sondern von faul gewordenen Immobilienkrediten. Von einer hemmungslosen, staatlich geförderten Kreditvergabe an US-Häuslebauer, die keine Kreditwürdigkeit hatten. Der Wertverfall dieser gebündelten Kredite hat dann die Banken in den Abgrund gezogen.

Wo sehen Sie 2020 die größte Gefahr für den Aktienmarkt?
Die größte Gefahr ginge meines Erachtens von einem stärkeren Konjunktureinbruch aus. Die Notenbanken könnten dann kaum noch dagegen einschreiten, weil sie ihr Pulver schon verschossen haben. Aber einen solchen Konjunktureinbruch erwarte ich nicht, solange die Inflation so niedrig bleibt, wie sie ist. Einen wirklichen Crash könnte ich mir nur bei einer unvorhergesehenen Katastrophe vorstellen, etwa einer unkontrolliert eskalierenden kriegerischen Handlung.

Besonders dynamisch läuft die Konjunktur derzeit aber nicht. Ist die Rezessionsgefahr tatsächlich gebannt?
Ich sehe tatsächlich keine Rezessionsgefahr für Deutschland. In Amerika wird die Konjunktur weiter robust laufen, China erholt sich gerade, in Japan wird zudem ein riesiges Konjunkturpaket aufgelegt. Zusätzlich zur lockeren Geldpolitik der Notenbanken wird also auch fiskalisch investiert. Deshalb glaube ich nicht daran, dass es irgendwo auf der Welt 2020 eine Rezession geben wird.

„Die Korrektur ist weit vorangeschritten. Jetzt kann es eigentlich nur noch aufwärts­gehen“, das haben Sie vor einem Jahr beim Interview mit BÖRSE ONLINE gesagt. Welche Prognose haben Sie für das Börsenjahr 2020?
2020 wird schon ein turbulentes und schwankungsreiches Börsenjahr, insbesondere weil der Wahlkampf von Donald Trump so brutal und hässlich sein wird wie kein Wahlkampf zuvor. Zudem gibt es weitere geopolitische Risiken und nicht zuletzt den Brexit, der für Unruhe sorgen könnte. Aber für gravierende Störungen der Aktienmärkte hat England einfach ein zu kleines Gewicht.

Wie aussichtsreich bleiben Aktien angesichts hoher Bewertung als Anlageklasse?
Aktien sind zwar nicht mehr ganz billig und die US-Titel vielleicht schon leicht überbewertet. Aber solange die Bewertungen noch im Rahmen sind, bleibt diese Anlageklasse in Anbetracht der Nullzinsen tatsächlich aussichtsreich – insbesondere, wenn die Unternehmensgewinne weiter steigen. Den Prognosen zufolge könnte das Gewinnwachstum bei zehn Prozent liegen. Per saldo wird 2020 also erneut ein gutes Börsenjahr werden, wenn auch etwas weniger ergiebig als 2019.

Wo sehen Sie den DAX zum Jahresende?
Ich bin zuversichtlich, dass der DAX zum Jahresende 2020 höher stehen wird als heute. Insbesondere die europäischen Börsen haben Nachholbedarf, denn sie haben am stärksten unter dem Zollstreit gelitten. Ebenso die Emerging Markets, allen voran China. US-Präsident Trump wird sich im Wahljahr keine zweite Kriegsfront leisten, er braucht eine brummende Wirtschaft, und da wird er weltweiten Zoff vermeiden.

Welche Branchen könnten von dieser Erholung am meisten profitieren?
In Europa diejenigen, die am stärksten unter dem Damoklesschwert der US-Strafzölle gelitten haben: also Maschinenbau, Autoindustrie und Chemie, speziell in Deutschland. Verbrauchsgüter, Nahrungsmittel, Medizin haben dagegen nicht so stark gelitten. Und unter den europäischen Börsen ist die deutsche Börse mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 13 oder 14 noch mit am preiswertesten. Zudem liegt die Dividendenrendite beim Leit­index DAX bei knapp unter drei Prozent – angesichts der Nullzinsen ein interessanter Aspekt für Anleger.

Gold profitiert von Niedrigzinsen und Unsicherheit. Welche Perspektiven hat das Edelmetall?
Solange die Inflation niedrig bleibt und solange die globalen Krisen nicht eskalieren, wird Gold keine großen Sprünge machen und dann eher seitwärts oder leicht nach unten tendieren.

Wie viel Gold gehört dann jetzt noch ins Depot?
So wie man Aspirin für Notfälle im Nachtkästchen hat, so kann man Gold im Depot haben. Das ist aber eher Geschmackssache. Als Anlageform spielt es jedenfalls keine große Rolle, weil es keine Rendite bringt, sondern sogar noch Lagerkosten verursacht. Gold-Zertifikate sind auch keine Lösung, hier kaufen Anleger die Bonität des Emittenten mit. Fünf Prozent Gold im Depot ist in meinen Augen eher ein Placebo. Wenn man besser schläft dabei, dann von mir aus. Aber ich investiere nicht in Gold.

Kommen Immobilien als Sachwerte für Sie infrage?
In Deutschland sind die Immobilienpreise schon sehr hoch, vor allem in den Ballungszentren. Wenn ich Anlagegeld investieren müsste, würde ich nicht in Immobilien gehen. Und wenn doch, dann ausschließlich in Eigenbedarf. Aus spekulativen Gründen sollte man nicht in Immobilien investieren, vor allem nicht in den Ballungszentren.

Wie könnte ein von Ihnen geführtes Depot im derzeitigen Umfeld idealerweise aussehen?
Die Aufteilung sollte auf einem Drittel Anleihen und zwei Drittel Aktien liegen. Bei Aktien würde ich auf börsennotierte Indexfonds (ETF) gehen, die weltweit positioniert sind, also beispielsweise den MSCI World oder zusätzlich mit Schwellenländern den MSCI All Country World. Für Nebenwerte käme ein MDAX-ETF hinzu oder europaweit ein Stoxx200-ETF mit den Nebenwerten.

Welche Rolle spielen dabei die Anleihen?
Bei den Anleihen könnte über einen ETF in Unternehmensanleihen investiert werden. Entweder mit Investment Grade, also mit hoher Bonität, oder in High-Yield-Anleihen, also hohe Rendite, aber schlechte Bonität. Diese High-Yield-Anleihen kann man mit ETFs trotz des höheren Risikos spielen, weil in den ETFs 800 bis 900 Einzelanleihen enthalten sind. Das heißt, wenn eine oder zwei Anleihen ausfallen, spürt man das gar nicht. In unserem Fiduka-Fonds Pro Select – Weltfonds haben wir beispielsweise ein Drittel Anleihen als Absicherung und zur Stabilität. Der Rest ist international investiert in Dividendenaktien aus Europa, den USA und Asien sowie Schwellenländeraktien. Außerdem setzt er noch auf Megatrends wie Wasser, Ernährung und Hightech sowie künstliche Intelligenz.

Und falls es doch kracht: Wie sichern Sie Ihr Depot gegen einen Crash ab?
Eine Totalabsicherung gegen solche Ereignisse, gegen einen weltweiten Crash, gibt es nicht. Aber sowohl das Einzelrisiko bei Aktien als auch das Anlageklassenrisiko kann man eben über Investments in weltweit breit gestreute börsennotierte Indexfonds zumindest teilweise reduzieren. Das Wichtigste ist: In Aktien breit investiert zu sein, international und langfristig, in Nebenwerte und Dividendenaktien, und die Emerging Markets nicht vergessen.

Bild: peterschreiber.media/istockphoto.com