Interviews

Börsenaltmeister Gottfried Heller über die Struktur in seinem ETF-Portfolio, dessen Performance in der Krise und welche Faktorprämien der Profi ganz besonders aussichtsreich findet.

Herr Heller, Sie plädieren für ein globales ETF-Portfolio mit Faktoren. Was sind die Vorteile dieses Konzepts?

Gottfried Heller: Faktor-ETF ermöglichen es zu günstigen Kosten, einen Mehrertrag – die Faktor-Prämie – im Vergleich zu den klassischen, anhand der Marktkapitalisierung gewichteten Indizes zu erzielen. Sie ersetzen die breit streuenden Indizes wie MSCI World, S&P 500 oder Stoxx 600 Europe nicht, sondern ergänzen sie, indem bestimmte Strategien übergewichtet werden. Zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten, insbesondere diejenigen von Nobelpreisträger Eugene Fama (zusammen mit Kenneth French) haben nachgewiesen, dass es Faktoren gibt, die langfristig einen erheblichen Mehrertrag gegenüber der Marktrendite versprechen. Richtig kombiniert können sie zusätzlich sogar noch das Risiko reduzieren, also mehr Ertrag mit weniger Risiko erzielen. Gerade auch Privatanleger können mit Faktor-ETF bequem Faktor-Prämien kassieren, sie brauchen keine aufwendige Aktienauswahl und kein Timing mehr zu betreiben.

Aber es kann auch passieren, dass ein Faktor, wie etwa bei Value in den vergangenen Jahren geschehen, deutlich hinterherhinkt. Können sich Prämien in Luft auflösen?

Nein, Prämien lösen sich nicht auf. Es war schon immer so, dass Faktor-Prämien schwanken und dass es recht lange Phasen geben kann, in denen eine Strategie deutlich schlechter als der jeweilige globale oder regionale Gesamtmarkt abschneidet. Aber das liegt in der Natur der Sache. Eine langfristig höhere Rendite ist ja bekanntlich der Lohn für kurz- und mittelfristig höhere Risiken. Würde eine Faktor-Prämie in allen Zeitabschnitten stetig anfallen, gäbe es sie längst nicht mehr, weil sich alle Anleger darauf stürzen und den Mehrertrag quasi risikolos – im Vergleich zum Gesamtmarkt – kassieren würden.

Die Underperformance im Value-Bereich spricht nicht unbedingt für Ihre These, oder?

Eine so lange und starke Unterperformance wie in den letzten fünf Jahren bei Value-Aktien gibt es in der Tat selten. Der Corona-Crash hat diese Entwicklung nochmals massiv verstärkt, weil vor allem zyklische Aktien aus der „Old Economy“ von den Lockdowns und den Unterbrechungen der Lieferketten betroffen waren. Aber ich bin überzeugt, dass Value-Aktien diesen Rückschlag wieder wettmachen werden, sobald die konjunkturellen Probleme infolge der Corona-Pandemie überwunden werden. Der Bewertungsabstand, gemessen an KGV, KBV und Dividendenrendite, zwischen Value-Aktien und dem Gesamtmarkt ist historisch so groß geworden, dass eine Outperformance des Value-Ansatzes nicht mehr lange auf sich warten lassen dürfte.

Welche Faktoren sind aus Ihrer Sicht sinnvoll und eine Bereicherung für ein Depot und welche können Privatanleger getrost vergessen?

Angeblich gibt es ja inzwischen über 100 verschiedene Faktoren, die einen Renditevorteil versprechen. Bei den meisten davon bin ich skeptisch, weil der Untersuchungszeitraum zu kurz ist, um allgemeingültige Folgerungen ziehen zu können. Da handelt es sich vor allem um Marketingprodukte, die den Anbietern höhere Erträge bringen sollen als mit klassischen ETF. Privatanleger sollten hier genau hinschauen und nicht blind dem Anlageberater vertrauen. Vertrauen kann man meines Erachtens aber den Faktoren, für die in zahlreichen wissenschaftlichen Analysen über lange Zeiträume hinweg zum Teil beachtliche Prämien nachgewiesen worden sind.

Welche Prämien sind das?

Das gilt für Small Caps und Value (einschließlich Dividenden), für die Fama bereits in den 1990er Jahren eine Small-Cap/Value-Prämie festgestellt hat. Darüber hinaus sind nachhaltige Prämien für geringe Volatilität (Low Volatility), Momentum und Political Risks- sprich Emerging Markets – nachgewiesen worden. Diese Strategien sind auch für langfristig orientierte Privatanleger beispielsweise in der Altersvorsorge sinnvoll. Für alle diese Faktoren gibt es ein breites ETF-Angebot. Anleger müssen sich jedoch bewusst sein, dass sie damit kurz- und mittelfristig deutlich schlechter als der Gesamtmarkt abschneiden können.

Haben Sie eine Art Lieblingsprämie?

Als Anleger sollte man Emotionen möglichst außen vorlassen, sie beeinträchtigen rationale Erwägungen. Aber in gewisser Weise könnte man Emerging Markets, also den Faktor politisches Risiko, als eine Art Lieblingsprämie ansehen. Das liegt daran, dass ich sehr früh die Chancen der Schwellenländer erkannt und bereits 1994 einen Emerging Markets-Fonds aufgelegt habe, einen der ersten in Deutschland. Ich bin davon überzeugt, dass Schwellenländer ein unverzichtbarer Bestandteil jedes Aktiendepots sein sollten. Sie werden den Anlegern in Zukunft noch viel Freude bereiten. Mit ETF auf den MSCI Emerging Markets oder den FTSE Emerging kann jeder Anleger diesen Faktor einfach und kostengünstig einsetzen.

Haben Sie Value komplett abgeschrieben?

Es könnte wohl sein, dass sich nach einer Normalisierung der Wirtschaft die Performance von Value-/Dividenden-Aktien deutlich verbessert. Festzuhalten bleibt, dass Small Caps in allen Konjunkturphasen stetigere, verlässlichere Ergebnisse liefern als Value. Auch die Prämien für „Political Risks“ – sprich Emerging Markets – dürften steigen. Das deutet sich schon durch die positive Entwicklung der Börse in Shanghai an.

Welche weiteren Assetklassen sind in Ihrem ETF-Portfolio enthalten?

In dem ETF-Portfolio sind zudem 30 Prozent Anleihen enthalten – der Sicherheitsanker. Aufgabe des risikofreien aber renditelosen Portfolioteils ist, für Sicherheit zu sorgen. Er kostet Rendite, aber erhöht den Sicherheitsgrad des Portfolios – ein wichtiger Aspekt in diesen unsicheren Zeiten. Etwa zwei Drittel des Aktien-Portfolios sind in Faktor-ETFs (Dividenden / Small Caps / Emerging Markets) angelegt und ein Drittel in Standard- oder Branchenindizes – z.B. im S&P 500, Nasdaq 100, World Health Care. Insgesamt ist das ETF-Portfolio für die kommenden Börsenzeiten rendite- und sicherheitsmäßig solide strukturiert.

Raten Sie Anlegern, die vor einer zweiten Welle Angst haben, etwas am Depot zu verändern oder vielleicht sogar auf potenzielle Gewinnerbranchen umzusteigen?

Die Aktienmärkte haben seit Februar/März schon einen erheblichen Teil der gravierenden Veränderungen, die langfristig von Corona ausgehen, in die Kurse eingepreist. Das sieht man an den kräftigen Gewinnen vieler Technologieaktien, insbesondere der amerikanischen Tech-Giganten von Amazon und Apple bis Microsoft. Anleger, die bisher nicht auf Corona reagiert haben, können in diesem Sektor, der langfristig zu den großen Gewinnern der Umwälzungen zählen dürfte, nach einer möglichen Korrektur einsteigen. Das gilt auch für einzelne Tech-Bereiche wie Robotik und Automatisierung, Digitalisierung oder Internet-Handel. Aber auch die Aussichten traditioneller Branchen wie Pharma und Logistik haben sich deutlich verbessert. Hier bietet sich für flexible Anleger eine Übergewichtung nach wie vor an – ETF auf diese Bereiche gibt es in ausreichender Zahl.

 

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