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Am 4. Februar wird Gottfried Heller 90 Jahre alt. Kaum jemand hat mehr Erfahrung an den Märkten als Heller, der auch langjähriger Weggefährte von André Kostolany war. FOCUS online sprach mit ihm über die Aussichten für das Jahr 2025, in dem auch die Bundestagswahl ansteht.

FOCUS online: Der DAX hat im Januar die Marke von 21.000 Punkten überschritten, obwohl es der deutschen Wirtschaft nicht gut geht. Wie erklären Sie sich das?

Gottfried Heller: Weil die Zinsen zusammen mit der Konjunktur die entscheidende Rolle für die Börsenkurse spielen. Besonders nach einer Zinswende. Als die EZB im Herbst 2023 signalisiert hat, dass sie 2024 mit Zinssenkungen beginnen wird, war das, wie fast immer bei einer Zinswende, der Startschuss für einen kräftigen Aufschwung, der den DAX innerhalb von 15 Monaten um über 5000 Punkte nach oben katapultiert hat.
Fallende Zinsen machen Aktien gegenüber Anleihen attraktiver und sie erhöhen die Wachstumschancen der Wirtschaft. Obwohl der Impuls auf die deutsche Konjunktur bislang leider fast völlig ausbleibt, ist der DAX stark gestiegen, weil die meisten Konzerne den Großteil ihrer Geschäfte im Ausland abwickeln und dort auch viele Produktionsstätten unterhalten. Und international sieht es bekanntlich viel besser aus bei uns. Kleinere Unternehmen haben bei weitem nicht in dem Maß von der robusten globalen Konjunktur profitiert. Deshalb liegen MDAX und SDAX noch weit unter ihren Höchstständen.

Wie wird sich die Börse in diesem Jahr entwickeln?

Heller: Das zweite Jahr nach einer Zinswende ist normalerweise kein Selbstläufer mehr. Obwohl die Notenbanken weitere Zinssenkungen beschließen dürften – die EZB mehr als die FED – lässt der Zinsimpuls in der Regel nach. Er bleibt zwar eine treibende Antriebskraft, aber andere Entwicklungen nehmen an Bedeutung zu. Ich denke hier neben den Risiken der zahlreichen geopolitischen Konflikte und den Unsicherheiten des Regierungswechsels in den USA und bald in Deutschland, auch an wirtschaftliche Faktoren.

So dürften die gewaltig steigenden Staatsschulden in den USA nicht nur die Anleihenmärkte immer wieder belasten, sondern auch die Aktienbörsen. Ähnliches gilt für die enormen Verschuldungen Frankreichs und Italiens, die zudem den Euro schwächen. Auch die Inflation ist für böse Überraschungen gut, vor allem wenn die Energiepreise wieder stärker klettern sollten. Auf der positiven Seite dürfte sich die Weltkonjunktur leicht beleben – auch eine Folge der weltweit gesunkenen Zinsen und der Impulse durch höhere Staatsausgaben vieler Länder.

Die vor allem im Vergleich zur Wall Street recht niedrige Bewertung europäischer und speziell deutscher Aktien bietet Raum für weiteres Erholungspotential. Das gilt insbesondere für die geschundenen Aktien aus zyklischen Industriezweigen wie Chemie, Autoindustrie und Maschinenbau, zumal diese Branchen erhebliche Kosteneinsparungen vorgenommen haben. Immerhin ein Viertel der DAX-Werte weist ein KGV von unter 10 aus. Da sind viele Risiken eingepreist. Alles in allem ist ein schwankungsintensiver, per Saldo leicht nach oben gerichteter Kursverlauf am wahrscheinlichsten.

Welche Rolle spielt die Politik für die Märkte? Donald Trump ist wieder US-Präsident, in Deutschland wird am 23. Februar gewählt.

Heller: Die Politik ist zweifellos der größte Unsicherheitsfaktor. Wenn die Entscheidungen der Regierung Trump so ausfallen, wie er es nach seinem Wahlsieg angekündigt hat, sind die Risiken für die Weltkonjunktur und längerfristig auch für die amerikanische Wirtschaft groß. Ich glaube allerdings nicht, dass Trump insbesondere bei den Handelsstreitigkeiten so rabiat vorgehen wird, wie viele befürchten. Drohen ist nun einmal seine beliebtestes Verhandlungsinstrument. Bald wird er zudem merken, dass Geld ausgeben, wie er das in seiner ersten Amtszeit mit vollen Händen praktizieren konnte, viel einfacher ist als Sparen. Die gewaltige Staatsverschuldung setzt ihm Grenzen. Wenn die Anleger, wie zuletzt schon, US-Staatsanleihen nur zu steigenden Renditen kaufen, diszipliniert das die Politik seiner Regierung.

Was die deutschen Wahlen angeht, so ist eines klar: Schlimmer als mit der Ampel kann es für Wirtschaft und Verbraucher kaum werden, egal wie die Wahlen ausgehen. Zwei Jahre hintereinander mit einer Rezession hat es bisher bei uns noch nie zuvor gegeben, und das bei wachsender Weltwirtschaft. Da hat sich ein großer Nachholbedarf bei Investitionen und Konsum aufgestaut. Wenn die neue Regierung mit ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik rasch für mehr Vertrauen bei Unternehmen und Verbrauchern sorgt, kann das die Konjunktur anschieben – und das wäre natürlich gut für die Börse.

Ist Künstliche Intelligenz eine neue industrielle Revolution, also ein Game Changer für die weltweite Wirtschaft?

Heller: Industrielle Revolution ist vielleicht zu hoch gegriffen, aber ein Game Changer ist KI auf jeden Fall . Vermutlich sind die Erwartungen zwar überoptimistisch, vor allem was die kurzfristigen Effekte angeht. Klar ist aber auch, dass KI in zunehmend mehr Bereichen anwendbar wird und dort Kostensenkungen und deutliche Produktivitätsgewinne verspricht, aber auch neue und innovativere Produkte. Diese KI-Transformation ist tendenziell gut für viele Unternehmen und die Gesamtwirtschaft und damit auch für die Aktienmärkte – wenn feste neue Regeln die Risiken verringern.

Wie können sich Anleger am besten darauf einstellen? Was raten Sie aus Ihrer jahrzehntelangen Erfahrung?

Heller: In der ersten Runde, also dem KI-Hype der letzten Jahre, hat praktisch jedes Unternehmen profitiert, das überhaupt in dem Bereich tätig ist. Das hat mich an den Technologieboom der 1990er Jahre erinnert, als Firmen, darunter viele neue, zu Börsenstars wurden, nur weil sie irgendwas mit Internet aufbauen wollten. Viele sind im Dotcom-Crash Anfang der 2000er Jahre und in den Jahren danach bekanntlich pleite gegangen. Aber die seriösen Markt- und Technologieführer haben damals den Grundstock für ihren Höhenflug der nächsten 20 Jahre gelegt. So ähnlich könnte es auch mit KI laufen. Es wird viele Enttäuschungen geben, aber die starken Unternehmen werden langfristig die Früchte dieser Technologie pflücken.

Trotz der zum Teil schwindelerregenden Kursgewinne und Firmenbewertungen werden eine Reihe dieser KI-Anführer auch in der zweiten Runde zu den Gewinnern zählen. Wer das letztlich sein wird, ist in diesem hoch innovativen Gebiet jedoch kaum absehbar. Deshalb rate ich nicht dazu, Stockpicking zu betreiben, sondern mit geeigneten ETFs auf den gesamten KI-Sektor oder Teilbereiche davon zu setzen. Die breite Streuung reduziert das Risiko erheblich und sorgt dennoch für gute Chancen.

 

Über den Experten
Gottfried Heller begann 1971 mit der Gründung der Vermögensverwaltung FIDUKA in München – zusammen mit Börsenlegende André Kostolany – seine erfolgreiche Karriere als Vermögensverwalter und Fondsmanager. Vom „Elite-Report“ wurde er als einer der „erfahrensten Vermögensverwalter“ mit der Goldenen Pyramide ausgezeichnet.

Heller ist Finanzkolumnist und Buchautor. Der Titel seines Buchs lautet: „ Die Revolution der Geldanlage“.

In 90 Jahren hat man genügend Zeit, um Börsenweisheiten zu verbreiten. FOCUS online hat lustige und wichtige Weisheiten von Gottfried Heller zusammengetragen:

Für den Börsenerfolg braucht es hauptsächlich vier Körperteile: Köpfchen, Fingerspitzen, Bauch und Sitzfleisch – von letzterem das Doppelte

Das Informationszeitalter zeichnet sich nicht durch Qualität, das heißt durch bessere, präzisere und verlässlichere Information aus, sondern hauptsächlich durch größere Quantität.

Wir dürsten zwar nach Wissen, aber wir sind in Gefahr, in der Informationsflut zu ertrinken.Viele sind heute total informiert – und total konfus!

André Kostolany, Börsenmeister und mein Freund und Partner, verstand Spekulieren nicht als kurzfristige Zockerei, sondern als langfristige Investition, die auf Geduld und Phantasie gründet. Spekulation bedeutete für ihn nicht, wie in Deutschland zumeist irrtümlich verstanden, die schnelle Mark an der Börse, sondern das „Ausspähen“ im ursprünglichen lateinischen Sinne. Spekulieren war ein kreativer Vorgang.

Langfristig werden die Fakten: Wachstum, Produktivität, Leistung und Innovation obsiegen. Nur kurzfristig beherrschen Emotionen und Gerüchte, dominieren Angst und Gier und Halbwissen das Börsengeschehen und sorgen für extreme Schwankungen.

Steigende – auch inflationsbedingte – Unternehmensgewinne sind die Triebkraft für Kurse und Dividenden! Die Aktie ist also wachstums- und inflationsindexiert. Sie ist der beste Schutz vor Inflation und der wichtigste Baustein einer Geldanlage.

Halten Sie sich fern von der Tageshektik an der Börse. Es besteht Ansteckungsgefahr.

Time ist wichtiger als Timing. Anlegen aufgrund langfristiger Überlegungen statt nach einem richtigen Zeitpunkt zu suchen, ist auch risikoärmer. Das belegt die Statistik.

Es ist besser ungefähr richtig zu liegen, als exakt falsch.

Viele fürchten sich vor Aktien, weil sie jeden Anstieg der Kurse als Gewinn und deren Fall als Verlust betrachten. Das ist ein Fehler. Das Auf und Ab sind nur kurzfristige Schwankungen, aber keine echten Risiken.

Gerade weil die Kurse schwanken, müssen Aktien eine höhere Rendite als Zinsanlagen bringen, einen Risikoaufschlag. Es wird Zeit, dass deutsche Anleger zwischen kurzfristigen Schwankungen und endgültigem Verlust zu unterscheiden lernen.

Privatanleger können Großanleger schlagen, wenn sie das Gegenteil machen: mit langem Zeithorizont in überlegene Aktienklassen in ein international systematisch strukturiertes, umschlagarmes Aktiendepot investieren, statt kurzfristig zu spekulieren. Salopp ausgedrückt: Sitzfleisch statt Aktionismus.
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Bild: Ina Zabel;