Die Finanzmärkte und die Weltwirtschaft sind massiv vom Coronavirus bedroht. Gottfried Heller erläutert im Interview mit Focus Online, wie sich die Rettungsaktionen von den Regierungen und Notenbanken auswirken dürften und was Anleger jetzt tun sollten.
FOCUS Online: Herr Heller, Sie sind seit 50 Jahren an der Börse aktiv: Haben Sie so etwas schon mal erlebt?
Gottfried Heller: Nein, aber auch die ganze Menschheit noch nicht. Alle Räder stehen still, es herrscht totale Flaute. So etwas gab es nicht einmal im Zweiten Weltkrieg. Da hatten wir Mangelwirtschaft, Fabriken wurden zerbombt. Aber es wurde immer noch produziert und diese Waren gekauft. Jetzt haben wir eine gleichzeitige Blockade von Angebot und Nachfrage.
Ihr Rat für den Anleger?
Wir müssen uns damit abfinden, dass Corona der Taktgeber für die Wirtschaft und Börsen ist. Und ein heimtückischer Gegner. Um diesen Feind zu besiegen, legen die Notenbanken gigantische Konjunkturpakete auf. Die EZB will im Monat für 120 Milliarden Euro Anleihen aufkaufen, der bisherige Rekord lag zwischen April 2016 und März 2017 bei 80 Milliarden pro Monat. Und die US-Notenbank wird in den nächsten 12 Monaten voraussichtlich mehr als drei Billionen US-Dollar für Anleihekäufe ausgeben. Zum Vergleich: In den Jahren 2008 bis 2014 waren es insgesamt 3,8 Billionen. Die amerikanische Regierung hat ein Hilfsprogramm in Höhe von 2 Billionen US-Dollar (2000 Milliarden US$) beschlossen. Das sind wirklich astronomische Zahlen.
Geld scheint keine Rolle mehr zu spielen.
So ist es! Die Notenbanken haben die gottähnliche Macht und können aus dem Nichts Geld schöpfen, das durch nichts gedeckt ist. Inflation haben sie nicht zu befürchten, weil durch das fehlende Angebot und Nachfrage die Tendenz deflationär ist. Und es bleibt ja nicht einmal bei der Geldschwemme.
Weil die Zinsen in den USA auch noch gesenkt wurden?
Sogar gleich zweimal. Jetzt gibt es kein Land mehr, in dem man nennenswerte Zinsen erhält. Aber es gibt noch mehr.
Was denn?
Die japanische Notenbank kauft sogar Aktien-ETFs an. Das ist das umfassendste Programm, das es in der Krise je gegeben hat. Da schlackern einem die Ohren.
Die Maßnahmen scheinen nötig zu sein, wenn man sich ansieht, wie die Börsen weltweit gecrasht sind.
Aber dieses Tempo – und diese Radikalität. In Europa zeichnet sich doch ab, dass die Vergemeinschaftung der Schulden bevorsteht. Die Tendenz, über das zulässige Limit hinaus Schrottanleihen aus Italien, Spanien oder sogar Griechenland zu kaufen, nimmt zu.
Aber die ganzen Maßnahmen haben die Märkte noch nicht richtig beruhigt.
Anleger schaffen Liquidität und verkaufen alles: Aktien, Anleihen, auch Gold. Obwohl es immer hieß, Gold ist für die Krise gut. Es wird alles dem Ziel untergeordnet, Cash zu bekommen.
Wenn ich zusammenfassen darf: Die Negativzinsen bleiben uns noch lange erhalten, die Notenbanken haben freie Hand und die Staaten verschulden sich immer mehr. Was heißt das nun, wenn ich Geld anlegen möchte?
Es gibt keinen Fluchtweg aus der zinslosen Welt. Und dadurch könnte ein Umdenken entstehen, dass Anleger auf der Suche nach Rendite auf dividendenstarke Aktien oder besser noch Ausschüttungen der ETFs setzen, sobald sich die Lage stabilisiert.
Schwer vorstellbar angesichts der horrenden Verluste der letzten Wochen.
In der Panik wird gerne nach unten übertrieben. Wir hatten hier einen exogenen Schock, Corona dominiert alles. Wir könnten nun aber in der Nähe des Bodens sein und uns auf diesem Niveau mit größeren Schwankungen auf und ab bewegen. Profis nennen das eine sägezahnartige Seitwärtsbewegung.
Wann geht es wieder nachhaltig aufwärts?
Keiner weiß im Moment, wie lange und wie tief die Rezession ausfallen wird. Aber selbst wenn die Rezession erst 2021 endet – die Börsen haben die Wende in der Regel sechs bis neun Monate vorweggenommen und sind gestiegen. Das war schon immer so, auch in den Jahren 1982/1983 und 2008/2009. Das könnte auch diesmal in der zweiten Jahreshälfte der Fall sein.
Sie sind demnach recht zuversichtlich.
Wir haben ein Übermaß an zusätzlicher Liquidität, die den Aufschwung extrem beschleunigen kann. Wenn die Zahl der Corona-Infizierten abnimmt und ein Ende des Stillstands in der Wirtschaft absehbar ist, kann es ähnlich scharf nach oben gehen. Wissen Sie, was ein US-Experte zum aktuellen Markt gesagt hat?
Ich bin gespannt.
Wir nähern uns einer „once in a lifetime chance“, also einer einmaligen Chance.
Also volle Attacke und Aktien kaufen.
Vorsicht! Mutige können an schwachen Tagen schon etwas kaufen, sollten aber ihr Pulver nicht komplett verschießen. Am besten ETFs, die breit streuen.
Warum keine aussichtsreichen Aktien raussuchen?
Kann man auch machen, es gleicht aber einem Glücksspiel, weil es zu viele unbekannte Einflussfaktoren gibt. Kaufen Sie ETFs auf den MSCI World oder den S&P 500, oder Dividenden-ETFs, die Auswahl ist doch fantastisch.
Was würde Ihr alter Freund und Börsenlegende Andre Kostolany zum Markt sagen?
Er war ein hartgesottener Mensch und hätte gegen den Trend gekauft, Kostolany war für sein antizyklisches Handeln bekannt. Aber das ist nichts für Anleger, die jetzt in Angst und Panik den Abschwung mitgemacht haben. Die Dauer der Seuche ist noch nicht abschätzbar, sie müssen auf Anzeichen einer Besserung achten.
Wir müssen auch auf die Maßnahmen der Politik achten. Wie beurteilen Sie das Vorgehen?
China hat seinen Dienst getan und beginnt, die Wirtschaft und die Börsen zu stabilisieren. Aber das ist auch ein diktatorisches Regime. In Deutschland hat Ministerpräsident Söder einen guten Job gemacht und ist vorgeprescht, der Bund war mir zu zögerlich.
Auch die Kanzlerin?
Frau Merkel hat zum ersten Mal gesagt, dass Geld keine Rolle spiele. In der aktuellen Notlage hat sie das Heft an sich gerissen, das könnte im Geschichtsbuch für sie wichtig sein. Sie könnte ihre Scharte von 2015 ausmerzen, Deutschland wieder auf Spur bringen und als Heldin abtreten. Und eine Sache macht mir Hoffnung.
Die wäre?
Es gibt noch das deutsche Obrigkeitsdenken. Das ist ausgeprägter als in den meisten anderen Ländern, schließlich hatten wir bis 1918 eine Monarchie. Wenn es eine Verordnung oder eine Vorschrift gibt, setzen wir sie gesetzestreu um. Und damit haben wir die Chance, die Krise schneller zu überwinden.
FOCUS Online: Sie glauben, der Gemeinsinn wird gestärkt?
Ja, und unterschätzen sie die politischen Auswirkungen nicht. Es geht um die Gesichter, die bei der Bewältigung der Krise mithelfen. Das ist nicht die AfD, die wird nicht wahrgenommen. Nur maulen reicht nicht. Auch der Höhenflug der Grünen geht zurück, weil die etablierten Parteien in der Regierung sind und durch die Krise steuern. Bis auf Baden-Württemberg mit Herrn Kretschmann, der für mich eher zur CDU als zu den Grünen passt.
Zum Abschluss: Wie wird die Welt nach Corona aussehen?
Es werden sich einige Dinge ändern. Wenn bildlich gesprochen die Sonne scheint, ist die Just-in-time-Lieferung prima, ansonsten aber eine Katastrophe. Es war ein Schock, auf andere Länder angewiesen zu sein. Nehmen Sie BMW: In Dingolfing konnten sie wochenlang keine Fahrzeuge ausliefern, weil die elektrischen Fensterheber aus Italien fehlten. Daher wird man sich künftig nicht nur auf einen Lieferanten verlassen, sondern nach mehreren Ausweichmöglichkeiten suchen. Und man wird wieder etwas eigene Lagerhaltung betreiben.
Die Globalisierung wird aber nicht verteufelt?
Das glaube ich nicht. Änderungen wird es geben, aber viele Produkte im Ausland sind konkurrenzlos billiger als in Deutschland.