Interviews

Börsenlegende Gottfried Heller über die Ukraine-Turbulenzen an den Märkten

Von der Kubakrise 1962 bis zu den Golfkriegen: Börsenlegende Gottfried Heller kennt nicht nur die Mechanismen von Kriegsbörsen wie kaum ein anderer. Als Kind hat er auch selbst noch den Zweiten Weltkrieg miterlebt. „Die Amerikaner marschierten 1945 in unser Dorf ein und nahmen unser Haus in Beschlag“, berichtet er. „Sie benahmen sich sehr anständig.“ Diese Erfahrung als Zehnjähriger habe ihn letztendlich auch zu einem Studium in den USA motiviert – und seinen Werdegang maßgeblich bestimmt.

Trotz Zuspitzung im Ukraine-Krieg rät der 87-jährige Senior-Partner der Depotverwaltung Fiduka Anlegern, nicht in Panik zu verfallen. Heller sieht Börseneinbrüche grundsätzlich als Einstiegschance, warnt aber in der aktuellen Situation vor gezielten Investments in Einzelwerte.

BÖRSE ONLINE: Die Börsen sind im Kriegsmodus. Eine Zeit, um Aktien zu kaufen?
Gottfried Heller: Zu kaufen, wenn die Kanonen donnern, ist immer noch aktuell, weil die Börsen immer übertreiben, nach oben wie nach unten. Denn irgendwann ist das Pulver verschossen und dann herrscht wieder relative Normalität.

Wie sollten Anleger reagieren?
Anleger sollten starke Rückschläge als Einstiegschance betrachten, weil sich die fundamentalen Daten für Aktien zwar kurzfristig verschlechtern, aber langfristig weiter intakt sind. Da niemand weiß, welche Auswirkungen Sanktionen und Gegensanktionen auf die einzelnen Branchen und Unternehmen haben werden, ist es besser, international breit gestreute ETFs zu kaufen. Stock-Picking ist gerade in einer solchen Phase sehr riskant.

Wie weit könnte es denn Ihrer Meinung nach an den Börsen noch runtergehen?
Die Eskalation bedeutet in erster Linie Unsicherheit, Anleger werden vorsichtiger. Das führt zu starken Kursschwankungen und drückt die Kurse der Weltbörsen und des DAX. Der Öl- und vor allem der Gaspreis dürften weiter klettern. Wie weit es an den Börsen runtergehen kann, lässt sich schwer abschätzen, da noch zu viele Entwicklungen in der Schwebe und kaum prognostizierbar sind.

Wie stark treffen steigende Energie- und Rohstoffpreise und Lieferengpässe die deutsche Wirtschaft?
Der Aufschwung der Weltwirtschaft wird sicherlich gebremst, wegen der Unsicherheit, der Verteuerung von Energie und Rohstoffen und aufgrund neuer Unterbrechungen von Lieferketten. Das trifft Deutschland als Exportland stärker als andere Länder. Die Industrie wird darunter am meisten leiden, mehr als die Dienstleister.

 

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