Interviews

In einer Telefonaktion der Finanzzeitung Euro am Sonntag habe ich am 17. Dezember 2018 – zusammen mit drei anderen Experten – zahlreiche Fragen zur Geldanlage von Lesern der Finanzzeitung beantwortet. Ein Teil dieser Leserfragen und meiner Antworten ist im Rahmen einer Titelgeschichte Anfang 2019 in Euro am Sonntag erschienen.

Leser: Was erwarten Sie für das Aktienjahr 2019?

Gottfried Heller: Wenn man zurückblickt, waren die Prognosen für das Jahr 2018 geradezu überschäumend voller Optimismus – und das war übertrieben. Denn im Lauf des Jahres hat sich gezeigt, dass es ein recht holpriges Jahr wird, wie ich es übrigens vorausgesagt habe. Dass es sich aber so zuspitzen würde, war dann doch überraschend.

Sehen Sie den Beginn einer Bärenmarktrally? Oder rechnen Sie im Lauf des Jahres mit einer Erholung?

Derzeit ist die Stimmung sehr pessimistisch. Sämtliche Konjunkturprognosen sind heruntergefahren worden. Von diesem Punkt aus kann es eigentlich nur noch besser werden. Gemessen an den Fundamentaldaten sind Aktien inzwischen wieder relativ günstig bewertet. Zum Beispiel hat er US-Leitindex S&P500 derzeit ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 15. Nimmt man noch die FAANG-Aktien raus (Facebook, Apple. Amazon, Netflix, Google), dann liegt das KGV beim S&P500 bei nur noch 12,5 – und damit fast auf DAX-Niveau (11,5).

Mit anderen Worten: Die Korrektur ist schon sehr weit vorangeschritten. Hinzu kommt: Die Notenbanken haben panische Angst davor, dass es eine Rezession geben könnte, weil sie keine Munition mehr haben, um dagegen zu halten. Sie werden alles tun, damit keine Rezession kommt. So hatte die US-Notenbank Fed ursprünglich vier Zinserhöhungen im kommenden Jahr geplant, inzwischen ist nur noch von einer die Rede.

Das hängt auch damit zusammen, dass die Effekte von Trumps Steuerreform auslaufen, und die Schätzungen für die Unternehmensgewinne deutlich zurückgehen, die 2019 nur noch um acht bis zehn Prozent steigen sollen nach über 20 Prozent in diesem Jahr. Die Aktienmärkte haben insgesamt schon eine deutlich langsamere konjunkturelle Gangart eingepreist.

Sehen Sie die Gefahr einer Rezession?

Dass es eine Rezession geben sollte, halte ich für sehr unwahrscheinlich. Eine Rezession wäre erst dann wahrscheinlich, wenn es vorher einen deutlichen Konjunkturboom gegeben hätte, die Inflation dabei stark gestiegen wäre und die Notenbanken mit hohen Zinsen dagegenhalten müssten. Die Inflation ist aber bislang nicht stark gestiegen, sondern verläuft mit rund zwei Prozent noch in geordneten Bahnen.
Zusammengefasst heißt das: Fundamental und monetär betrachtet sieht es momentan eher positiv aus, aber auch technisch, da der Markt bereits sehr stark korrigiert hat.

Kann ich also in den nächsten ein bis zwei Quartalen wieder versuchen, Positionen aufzubauen?

Ja, das können Sie. Derzeit steht aber noch ein großer Stolperstein im Weg, und das ist der Brexit. Wenn es am 21. Januar zur Abstimmung kommt und Theresa Mays Plan durchfällt, wird es erst einmal kein Abkommen geben, und dann könnten die Börsen noch einmal sehr nervös reagieren. Speziell in Europa, weil Europa stark betroffen ist, und Deutschland am meisten. Man wird aber dann irgendeine Lösung finden, etwa indem man den EU-Verbleib der Briten verlängert, um Zeit zu gewinnen und doch noch ein Abkommen abzuschließen. Nur bei einem Austritt ohne Abkommen könnte es tatsächlich zu einer Rezession kommen, aber das wird man nicht riskieren. Für Investments würde ich also noch warten, bis die Brexit-Hürde übersprungen ist, aber dann kann man glaube ich schon mal einsammeln.

In welche Positionen würden Sie dann investieren?

Ich würde vor allem Value- und Nebenwerte nehmen, und die deckt man am besten über ETF ab. Bei den defensiven Titeln würde ich zudem auf hohe Dividendenrendite achten, die etwa bei BASF derzeit bei rund fünf Prozent liegt, im DAX im Schnitt bei 3,3 Prozent. Das ist viel, wenn man bedenkt, dass man bei zehnjährigen Bundesanleihen gerade mal 0,25 Prozent bekommt.

Man sollte außerdem die Emerging Markets im Blick haben, aber ebenfalls nicht durch Einzeltitel oder einzelne Länder, sondern global über ETF. Nur auf China zu setzen wäre beispielsweise wegen des schwelenden Zollstreits mit USA zu riskant. Da ist nur vorübergehend etwas Ruhe eingekehrt.

Soll ich jetzt in den DAX investieren?

Der DAX ist nicht nur einer der schwankungsreichsten Indizes der Welt. Er ist vor allem auch ein schlechter Orientierungswert, weil er voll ist von Auto- und Finanzwerten, aber Wachstumswerte weitgehend fehlen. Er ist ein Industrieindex mit vorwiegend veralteten Industrien, deswegen würde ich bei Investments in Deutschland eher den MDAX oder TecDAX anschauen mit ihren wachstumsstärkeren Titeln. Die Ursünde der Deutschen ist, dass sie immer nur in den DAX investieren wollen, und dadurch ein völlig verzerrtes Bild von der Welt bekommen, die bei weitem nicht so volatil ist.

Sie haben den Brexit als Stolperstein für 2019 angesprochen. Wie wird es in den USA mit dem Zollstreit weitergehen?

Die Zwischenwahlen haben eine Pattsituation geschaffen, da die Demokraten das Repräsentantenhaus mit klarer Mehrheit zurückerobert haben. Sie können also alles blockieren, und Trump kann nicht mehr schalten und walten wie er will. Das gilt auch für den Handelsstreit mit China. Statistisch gesehen waren solche Patts immer die besten Börsenjahre. Ebenso waren die dritten Jahre einer Präsidentschaft immer die besten Börsenjahre. Das sind zwei Punkte, die auch noch dafür sprechen, dass sich 2019 die Börsen wieder fangen, wenn die Brexit-Hürde übersprungen ist.

Könnte 2019 der Haushaltsstreit in Italien oder die Protestwelle in Frankreich eskalieren?

Ich glaube, dass die Krisenherde Italien und Frankreich sich wieder beruhigen. Die Protestwelle in Frankreich läuft nach den Zugeständnissen von Macron vermutlich bald aus. Auch in Italien wird es einen Kompromiss mit der EU zur Verschuldung geben.

Was erwarten Sie konkret für die Emerging Markets?

Die sehe ich positiv. Außer Problemkindern wie Argentinien oder der Türkei sind viele Länder heute besser strukturiert, sie sind reifer und stabiler geworden und nicht mehr so hoch verschuldet. Vom Kapitalmarkt her sind sie aber doppelt geprügelt worden von der Kurs- und von Währungsseite her. Als es abwärts ging, hatten sie einen doppelten Hebel nach unten, während es umgekehrt mit doppeltem Hebel wieder nach oben geht. Technisch gesehen habe ich das Gefühl, dass wir bei den Emerging Markets derzeit eine Bodenbildung sehen.

Würden Sie derzeit Aktien kaufen?

Ich investiere grundsätzlich antizyklisch, und bei den derzeitigen Bewertungen neige ich zum Kauf, trotz der starken Schwankungen, die auch 2019 wegen Brexit & Co. zu erwarten sind. Man findet dann auch immer günstige Gelegenheiten, um antizyklisch einzusteigen.

Sie empfehlen grundsätzlich defensive Investments, Value- und Dividendenwerte, in Deutschland eher Nebenwerte, und breit gestreute Investments in Schwellenländer. Können Sie für Investments in Deutschland auch bestimmte Branchen oder Einzelwerte empfehlen?

Pharmaunternehmen halte ich grundsätzlich für vielversprechend. Bei Valuetiteln kommen auch Versorger in Frage, allerdings nicht die deutschen, denn die haben immer noch das komplexe Problem mit der Energiewende. Banken würde ich in Deutschland nicht anfassen, breiter aufgestellte Versicherungen dagegen schon.

Sehen Sie Chancen bei Technologiewerten?

Technologiewerte sind langfristig zwar wichtig und ertragreich, sie haben aber jahrelang nur Zuflüsse gehabt und sind deshalb auch zunehmend in schwächere Hände geraten, weshalb sie jetzt auch so stark korrigieren. Da war viel Schaum drauf. Technologie-Aktien würde ich also derzeit nur sehr selektiv kaufen. Von Amazon etwa mit einem KGV von 60 würde ich derzeit die Finger lassen.

Und welche Nebenwerte empfehlen Sie?

Bei Nebenwerten würde ich grundsätzlich in einen börsengehandelten Indexfonds (Exchange Traded Fonds, ETF) investieren. Denn bei diesen Werten ist die Berichterstattung sehr spärlich, im Gegensatz etwa zu Siemens, die von Analysten rauf- und runterbesprochen wird. Wenn Sie da stock picking machen wollen, müssen sie sich wirklich reinknien. Da würde ich eher ein MDAX- oder TecDAX-ETF nehmen. Genauswenig würde ich bei den Emerging Markets in einzelne Länder investieren, in Thailand, Korea, Taiwan, Russland oder Türkei, auch wenn sie billig sind. Ein ETF in globale Emerging Markets ist in so unsicheren Zeiten wie jetzt auf jeden Fall die bessere Wahl.

Ich will britische Tabakaktien wie BAT kaufen. Wie groß ist die Gefahr durch den Brexit?

Tabakaktien wie BAT haben eine gute Dividendenrendite von fünf bis sechs Prozent und gehören zum konjunkturresistenten Bereich Nahrung/Genuss. In BAT können sie zudem über ein 15 bis 20 Prozent abgewertetes Pfund investieren. Wenn es ein langfristig angelegtes Investment ist, kann man keine Einwände dagegen haben. Für einen kurzfristigen Trade taugt es aber nicht. Ich würde aber vom Timing her aber noch etwas warten, bis der Brexit-Deal durch ist.

Was halten Sie derzeit von Gold?

Angesichts der Vielzahl der weltweiten Probleme und der verbreiteten Unsicherheit hätte Gold eigentlich viel stärker steigen müssen. Es hat sich aber kaum bewegt. Denn Gold profitiert zwar von Pestilenz und Cholera, braucht aber auch etwas Inflation, die sich derzeit aber in Grenzen hält. Ich betrachte Gold immer als totes Metall und bin selber nicht in Gold investiert. Gold ist riskant. Aber so als letzte Art von Sicherheit, wenn alles zugrunde geht, könnten ein paar Goldmünzen für den einen oder anderen so eine ähnliche Wirkung haben wie ein Aspirin im Nachtkästchen. Ich würde aber nie in großem Stil in Gold investieren. Metall bringt nicht nur keine Rendite, sondern verursacht auch noch Lagerkosten. Als Langfristanlage in größerem Stil taugt es überhaupt nicht, es taugt höchstens als letzte Reserve, wenn alles den Bach runtergeht.

Durch die starken Kursrückgänge gibt es bei zahlreichen Unternehmen Übernahmespekulationen, etwa bei Covestro, Scout 24, Leoni oder Osram. Halten Sie es für eine sinnvolle Strategie, auf Kurssteigerungen bei diesen Übernahmeaktien zu setzen?

Das halte ich für sinnvoll, weil es absolut vorstellbar ist, dass angesichts der niedrigen Bewertungen beispielsweise private equity fonds, aber auch Konkurrenzunternehmen verstärkt in solche Werte investieren.

Was halten Sie von einem ETF auf den MSCI World Index?

Grundsätzlich gut und mit über 1600 Einzeltiteln breit aufgestellt, allerdings mit einem sehr starken Übergewicht in den USA. Man könnte alternativ den ACWI Index nehmen, der zusätzlich zehn bis zwölf Prozent in den Emerging Markets hält, damit haben sie praktisch die ganze Welt.

Wie lange werden die Zinsen noch auf diesem niedrigen Niveau bleiben?

Die Zinsen werden noch eine Weile niedrig bleiben, weil die Welt überschuldet ist, aber auch, weil die Welt ergraut. Und eine älter werdende Bevölkerung ist weniger dynamisch, sie kauft keine Autos, Immobilien oder dergleichen. Die Demografie ist ein inflationsdrückendes Element, und zwar weltweit. Das gilt auch für China mit seiner langjährigen Ein-Kind-Politik. Summa summarum: Die Welt wird grauer, und eine graue Welt ist inflationsdämpfend.

 

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