Interviews

Viele Jahrzehnte an der Börse machten aus Vermögensverwalter Gottfried Heller einen Optimisten. Auch jetzt ruft der 73-Jährige wieder zum Kauf von Aktien auf. Und er hofft, dass die junge Anlegergeneration Bankberatern stärker misstraut

Mit Börsenguru André Kostolany gründete Gottfried Heller Anfang der 70er-Jahre eine Vermögensverwaltung in München. Sie durchlebten bis zu Kostolanys Tod 1999 „mehr als ein Dutzend kritischer Börsenphasen“, wie Heller heute sagt. Gerade die schmerzlichen Erfahrungen sind es, die Heller nun an eine rasche Kurserholung an den Aktienmärken glauben lassen – trotz immer neuer Horrormeldungen. Ein Gespräch über verpasste Chancen, Untertanengeist und die Schuld der Banken an der unterentwickelten Aktienkultur.

Welt am Sonntag: Herr Heller, was war Ihre erste Aktie?
Gottfried Heller: Oh, die habe ich vor fast 40 Jahren gekauft. Es war die der US-Fluglinie PanAm.

Und?
Das ging voll daneben. Ich hatte die Aktie für zehn Dollar gekauft. Als PanAm dann kurz vor der Pleite stand, bekam ich gerade noch einen Dollar pro Papier.

Und dennoch hat André Kostolany mit Ihnen kurz darauf eine Vermögensverwaltung gegründet?
Fehlgriffe gehören an der Börse dazu. Wie hatte Kosto immer gesagt: „Es reicht, wenn von 100 Anlageentscheidungen am Ende 51 richtig sind.“ Ein Trost ist das aber auch nur in der langfristigen Perspektive. Wenn es passiert, schmerzt es immer wieder sehr.

Noch eine Narbe, die unschöne Erinnerungen weckt?
Eine große stammt aus den frühen 80er-Jahren. Ronald Reagan war US-Präsident, die Börsenkurse im Keller. Dafür verzinsten sich US-Anleihen mit heute unvorstellbaren 16 Prozent. „Ronny-Bonds“ haben wir dazu gesagt. Leider hielten wir zu lange an den Papieren fest. Plötzlich drehten die Kurse an den Aktienmärkten aus dem Nichts heraus nach oben. Wir verpassten einen Teil des Aufschwungs, weil wir uns zu sehr in unsere Idee mit den Ronny-Bonds verliebt hatten.

Sprechen Sie deshalb heute lieber zu früh als zu spät von einem neuen Börsenaufschwung? Sie trommeln bereits seit Mai zum Einstieg.
Für langfristig orientierte Anleger könnte sich der Sommer 2008 als ähnlich guter Einstiegszeitpunkt wie die Wochen nach dem Schwarzen Montag im Herbst 1987 erweisen.

Damals kamen Sie nicht zu spät?
Ich weiß noch, als am 19. Oktober 1987 spät abends ein Mitarbeiter anrief und mir erzählte, dass die Börsen um 20 Prozent eingebrochen sind. Wir diskutierten bis tief in die Nacht und kamen zu dem Schluss, dass es nur eine Entscheidung geben kann: Kaufen. Dass wir damit richtig lagen, wusste ich, als am nächsten Tag gegen Mittag ein Händler zu mir sagte: „Herr Heller, Sie wollen wirklich kaufen, nicht verkaufen? Sie sind der erste heute.“ Zwei Jahre später hatten unsere Aktien ihren Wert verdreifacht.

Was macht Sie so sicher, dass die Börse auch heute bereits in der Nähe des Tiefpunktes angelangt ist?
Die Aktienmärkte sind bereits historisch niedrig bewertet. Selbst wenn die Gewinne der Unternehmen in den nächsten Monaten nicht mehr ganz so sprudeln sollten, ist das aktuelle Kursniveau nicht gerechtfertigt.

Das sieht das Gros der Anleger anders. Gerade in den USA fürchten viele eine Rezession.
Bei allen Negativschlagzeilen über Bankenpleiten und Milliardenabschreibungen geht unter, dass die wichtigsten Industrieunternehmen der USA zwischen April und Juni ihren Gewinn im Schnitt um zwölf Prozent steigerten. Sieht so eine Rezession aus? Fatal sind nur die Ergebnisse der Banken.

Sie meinen, die guten Nachrichten werden einfach übersehen?
Die Masse ist pessimistisch. Überall herrscht Trübsal.

Verständlich. Wenn große Banken wanken, ist das nicht unbedingt ein Umfeld, in dem sich eine Anlage in riskante Aktien aufdrängt.
Auf was wollen Sie warten? Die Regierung um Präsident Bush hilft mit milliardenschweren Hilfsprogrammen aus, die Preise am Häusermarkt werden sich stabilisieren. Ich erwarte schon in den nächsten zwei bis drei Monaten eine Entwarnung von der Immobilienseite und damit werden auch die Horrormeldungen der Banken schwinden.

Und dann?
Dann kann die Börse explosionsartig nach oben drehen.

Waren Sie schon immer ein unverbesserlicher Optimist?
Als Börsianer bin ich Realist mit einer optimistischen Grundhaltung – ähnlich wie Kostolany. Es ist immer wieder schwer, in einer solchen Situation gegen die Masse zu gehen. Und einige Male war ich auch zu früh dran. Aber das macht auf lange Sicht nichts. Über die vergangenen Jahrzehnte sind die Kurse an den Börsen stetig gestiegen. Da darf man sich von einzelnen Schwächephasen nicht verrückt machen lassen. Ich erinnere mich noch gut, was Kostolany nach dem Schwarzen Montag 1987 einem Reporter auf die Frage antwortete, ob er viel verloren habe: „Wieso, ich habe doch gar nichts verkauft?“

Auf eine nur vorübergehende Schwäche hatten Anleger auch 2000 gehofft. Am Ende waren viele Neuer- Markt-Aktien gar nichts mehr wert.
Der Neue Markt war keine Börse, das war eine Lotterie. Anleger haben für Unternehmensgewinne gezahlt, die nie da waren und nie kommen sollten. Aber das wirklich Schlimme ist, dass eine ganze Anlegergeneration damals fehlprogrammiert wurde. Statt in Aktien stecken die Deutschen jetzt ihr Geld lieber in Anleihen und Festgeld.

Da ist das Geld wenigstens sicher.
Aktien sind auf lange Sicht auch sicher. In den vergangenen knapp 40 Jahren kamen Anleger mit deutschen Aktien auf eine durchschnittliche Rendite von zwölf Prozent pro Jahr. Mit Anleihen oder Festgeld können Sparer derzeit im besten Fall die jährliche Geldentwertung ausgleichen.

In den vergangenen Jahren gab es fast keine Geldentwertung.
Richtig: in den vergangenen Jahren. Es hat sich aber als Illusion erwiesen, dass es wegen der Globalisierung dauerhaft keine Inflation mehr gibt. Die wird es immer geben. Unser Wirtschaftssystem ist auf Inflation aufgebaut. Die Notenbanken werden auch in der nächsten Notsituation die Geldhähne aufdrehen, und die Politik wird wieder einspringen, um die größten Lecks im System zu schließen.

Sie meinen, kurz bevor die nächste Blase zu platzen droht?
Richtig. Nach der Technologieblase 2000 und der Kreditblase 2007 wird es wieder eine geben, die nicht zuletzt von der freizügigen Geldpolitik der Notenbanken herrührt. Doch das ist okay. Denn was geschieht, wenn Notenbanken und Politik nicht einschreiten, können wir in den Geschichtsbüchern nachlesen. Es kommt zu einem Wirtschaftsinfarkt, wie wir ihn 1929 gesehen haben, verbunden mit einem über viele Jahre dahinsiechenden Aktienmarkt.

Was heißt das für Anleger?
Das heißt, dass sich alle Anleger auch für die nächsten Jahrzehnte auf Inflation einstellen müssen. Und da liefern Aktien nun einmal einen guten Schutz verbunden mit großen Chancen. Mit den Preisen steigen auch die Unternehmensgewinne und damit die Kurse. Wie sagte ein US-Banker einmal: Es gibt zwei Möglichkeiten an Vermögen zu kommen: Entweder wir arbeiten für Geld oder das Geld arbeitet für uns.

Klingt toll, aber wenn das Geld beim Arbeiten versagt, stehen alle Anleger dumm da. Da greifen viele dann eher zu einem Garantieprodukt als zu einer Aktie, das verspricht zwar nicht so viel Rendite, dafür Sicherheit.
Das ist genau Teil des Problems. Erst brachten Banken die ganzen Neuer-Markt-Unternehmen mit den tollen Gewinnversprechen an die Börse. Als dies nicht mehr funktionierte, schwenkten sie um 180 Grad um und legten Garantieprodukte auf. Leider sind auch diese vor allem eines: wunderbare Provisionsmaschinen.

Sie behaupten, die Banken sind Schuld an der geringen Zahl der Aktionäre in Deutschland?
Sie haben viel dazu beigetragen. Hinzu kommt die Mentalität der Deutschen. Die Generation der Groß- und Urgroßeltern ist immer noch geprägt von der Geldentwertung nach den beiden Weltkriegen und investiert deshalb lieber ins eigene Haus oder spart auf dem Festgeldkonto. Die Elterngeneration ist durch den Neuen Markt verschreckt. Zudem beobachte ich einen Untertanengeist im Umgang mit Bankberatern. Meine Hoffnung ruht daher auf der jungen Generation, die anders denkt und selbstbewusster handelt.

…und andere Sorgen hat, wie den Verlust des Arbeitsplatzes. Auch das ermuntert nicht zu Risikoanlagen.
Das stimmt. Aber ich gehe davon aus, dass die Jungen den Zwang erkennen, dass gerade Aktien auf lange Sicht unverzichtbar sind. Irgendwann muss jeder erkennen, was Kostolany schon früh sagte: „Mit ihrem übertriebenen Sicherheitsdenken bringen sich die Deutschen jährlich um einen beträchtlichen Vermögenszuwachs“.

Das Gespäch führte Karsten Seibel

Bild: Marc_Osborne/istockphoto.com