Der Aktionär–Einfach Börse

einfach börse, das Monatsheft des Anlegermagazins „Der Aktionär“, hat mich zu den Entwicklungen an den wichtigsten Kapitalmärkten interviewt. Darin geht es nicht nur um die Aussichten von Aktien und Anleihen, sondern auch um Gold und Bitcoin sowie um die Inflationsrisiken. Und wie mein Freund André Kostolany die aktuelle Lage vermutlich eingeschätzt hätte.

Einfach börse: Herr Heller, die Aktienmärkte gehen seit Monaten durch die Decke – trotz Pandemie, trotz aller möglichen wirtschaftlichen Schäden. Was passiert da?
Gottfried Heller: Die Anleger achten derzeit vor allem auf eines: auf die unfassbare Geldmenge, die vorhanden ist. Die Notenbanken haben die Märkte regelrecht geflutet mit Geld. Dazu haben sie in ganz großem Stil Anleihen aufgekauft. Sie wollen unter allen Umständen eine Wirtschaftskrise verhindern. Auch die Regierungen setzen alles daran, die Konjunktur anzukurbeln. Die Bundesregierung hat ein 130 Milliarden Euro schweres Hilfsprogramm aufgelegt. Die USA stimulieren die Wirtschaft sogar mit zwei Billionen Dollar. Das sind Ausgaben, die es so noch nie gegeben hat.

Werden die ganzen Maßnahmen von Erfolg gekrönt sein?
Da bin ich optimistisch. Es gibt ja auf der ganzen Welt einen riesigen Konsumstau, da die Menschen während der Pandemie weitestgehend Zeit zu Hause verbracht haben. Nun wollen sie wieder raus und Geld ausgeben. Und das können sie ja auch bald, denn die Herdenimmunität ist zum Greifen nah. In den USA viel früher als in Europa, aber auch da ist das Licht am Ende des Tunnels deutlich sichtbar.
Es wird zu starken Nachholeffekten kommen, davon können Sie ausgehen. Das BIP-Wachstum wird enorm sein. Deutschlands Konjunktur, so lauten die Schätzungen, wird 2021 um fünf bis sechs Prozent zulegen und damit so viel wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Damit wird unser BIP so stark wachsen wie China. Das ist natürlich sehr gut für die Aktienkurse.

Manche Marktbeobachter finden Aktien zu teuer. Tobias Levkovich, Chef-US-Aktienstratege bei der Citigroup, hat vor kurzem gesagt, die Situation erinnere ihn stark an die Börseneuphorie um die Jahrtausendwende. Damals sei der Erfolgsdruck auf die Fondsmanager auch sehr groß gewesen. Sie hätten immer weiter Aktien gekauft, um dabei zu sein. Dass die Blase immer größer wurde, hätten sie in Kauf genommen. Am Ende ist die Blase geplatzt und der Crash war schlimm.
Die Situation ist 2021 eine ganz andere. Erstens haben wir, wie gesagt, heute viel mehr Geld in den Märkten als damals. Zweitens sind wir von Euphorie noch ein sehr gutes Stück entfernt. Und drittens waren Aktien 1999/2000 teurer. Das KGV für den S&P 500 beläuft sich derzeit auf 23, das für den Nasdaq auf 30. Europäische Aktien kommen auf ein KGV von 15/16. Schnäppchenpreise sind das im Großen und Ganzen nicht mehr, aber von teuer kann meiner Meinung nach keine Rede sein. Zumal es keine Alternativen zu Aktien gibt.

Wirklich nicht? Immerhin ist die Rendite von US-Staatsanleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren in diesem Jahr gestiegen. Derzeit bekommen die Anleger 1,6 Prozent.
Nach der Inflation machen Anleger aber Verlust. Wer Bundesanleihen kauft, verliert sogar schon vor der Inflation Geld. Für mich sind Anleihen, der klassische Konkurrent von Dividendentiteln, keine Option. Derzeit nicht und auf absehbare Zeit wahrscheinlich auch nicht.

Ist Gold keine Alternative?
Von Gold habe ich noch nie viel gehalten. Gold ist für mich ein totes Metall, das kaum industrielle Verwendung findet. Vor 20 bis 30 Jahren hat Gold bei Zahnärzten noch eine Rolle gespielt. Heute ist die Goldindustrie auf die Nachfrage aus der Schmuckbranche angewiesen. Aber irgendwie reicht das auch nicht mehr, damit Gold als Asset interessant ist. Zumal es kein Produkt ist, das Zinsen abwirft.

Und was ist mit Bitcoin?
Das ist auch nicht mein Fall. Bitcoin ist ein reines Spekulationsobjekt. Es ist keine Währung. Ich habe schon von Leuten gehört, die in Bitcoin als Altersvorsorge investiert haben. Da habe ich meine Zweifel, ob das wirklich sinnvoll ist. Leute wie Elon Musk können in großem Stil Bitcoin kaufen, weil sie es sich leisten können. Sie haben ja Geld genug.

Herr Heller, Sie haben den großen André Kostolany gekannt wie kein Zweiter. Wie würde er den Markt derzeit einschätzen?
Er würde es sehr wahrscheinlich genauso sehen wie ich: Es gibt im Moment keine Alternative zu Aktien. Er hat oft einen alten Zigeunerspruch zitiert: kein Geld, keine Musik. Aber wie gesagt: Heute gibt es Geld ohne Ende, die Märkte quellen über, also spielt auch an den Aktienmärkten die Musik. Über das Ausmaß der Notenbankenmaßnahmen wäre Kostolany wahrscheinlich ebenso verblüfft wie ich und viele andere. Schließlich hat allein die US-Notenbank seit dem vergangenen Jahr so viele Anleihen gekauft, dass die Bilanz der Fed von vier auf sieben Billionen Dollar angewachsen ist.
Alle Zentralbanken der Welt haben allein von Mitte März bis Mitte Mai 2020 Anleihen im Gesamtwert von vier Billionen Dollar gekauft. Das sind 40 Millionen Dollar pro Minute. Auf diese Weise haben sie die Konjunktur in einer der schlimmsten Krisen der Nachkriegsgeschichte gestützt.

Befürchten Sie angesichts der Geldflut keine sprunghafte Inflation?
Noch gibt es zwar keine Anzeichen dafür, aber irgendwann könnte das natürlich zum Thema werden, zuallererst wahrscheinlich in den USA. Allerdings muss man sagen, dass die Notenbanken ja schon seit einiger Zeit sehr viel Geld drucken, die Inflation aber insgesamt stabil bei rund zwei Prozent geblieben ist.

Ein uralter Börsenspruch heißt: Politische Börsen haben kurze Beine. 2021 ist das Jahr des politischen Aus: Joe Biden hat Donald Trump abgelöst, im September wird Angela Merkel nicht mehr Bundeskanzlerin sein. Wie fällt Ihr Urteil zu Merkel aus?
Angela Merkel ist eine passable Krisenmanagerin, aber insgesamt fällt ihre Bilanz nicht gut aus. Vieles in Deutschland liegt im Argen. Schauen Sie sich nur mal an, wie rückständig das Land bei der Digitalisierung ist. Normalerweise wäre Friedrich Merz der richtige Nachfolger. Der spricht auch mal unpopuläre Dinge aus. Ein Politiker an der Macht sollte das tun, was das Land und die Leute brauchen und nicht was sie wollen.

 

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