Interviews

Der Finanzexperte Gottfried Heller warnt die Sparer davor, auf höhere Zinsen zu warten. Bei Aktien sieht er noch Luft nach oben. Der Fondsmanager Gottfried Heller rührt die Werbetrommel für eine neue Form der Geldanlage – die keine Fondsmanager braucht: börsengehandelte Indexfonds (ETFs). Im Interview erklärt er, weshalb er sich trotzdem nicht als Totengräber seiner Profession sieht und warum er auch nach neun Jahren Börsenboom noch zum Einstieg an der Börse rät.

Die Börse hat in diesem Jahr unter dem Strich bisher nicht zulegen können. Geht dem Boom die Luft aus?

Nein. Ich habe schon in meinem Jahresausblick gesagt, dass 2018 schwierig und holprig wird, und so ist es bisher auch gekommen. Meine Prognose für das Gesamtjahr lautet: Der Dax wird sich etwas verbessern, der M-Dax etwas mehr und der Tec-Dax noch mehr.

Aber die Konjunkturprognosen sinken.

Die amerikanische Wirtschaft ist noch unter Volldampf, befeuert von der drastischen Steuersenkung von 35 auf 21 Prozent. Das hat die Gewinnsituation der US-Unternehmen massiv verbessert. Aber zwei Faktoren deuten darauf hin, dass der Dampf in den USA etwas raus geht. Die Zinskurve hat sich abgeflacht, was auf eine Verlangsamung der Konjunktur hindeutet. So ist der langfristige Zins nach der Zinswende zuletzt wieder gefallen, von etwa 3,0 Prozent auf 2,8 Prozent. In Deutschland ist der Zins für die zehnjährige Bundesanleihe von 0,8 Prozent auf 0,3 Prozent gefallen. Das deutet auch bei uns auf eine Verlangsamung hin. Und das bedeutet wiederum, dass die Geldpolitik weiter relativ locker bleiben wird.

Warum sollten die Aktienkurse steigen, wenn sich die Konjunktur verlangsamt?

Weil auch in Deutschland und Europa die Unternehmensgewinne steigen und der Export durch den zuletzt wieder etwas schwächeren Euro unterstützt wird. Und solange es in den USA brummt oder das Land in der Nähe des Booms ist, wird es in Europa keine Rezession geben.

Werden die vorsichtigen deutschen Anleger nicht warten, dass Bundesanleihen wieder Zinsen abwerfen, statt Aktien zu kaufen?

Die Ökonomien im Süden der Eurozone sind so fragil, dass sie eine Zinserhöhung kaum verkraften können. Es wird noch längere Zeit dauern, bis die Zinswende kommt. Aber auch das wird den Sparern nicht viel helfen, weil es zunächst nur um den Abbau der Negativzinsen bei den Banken geht. Ins Positive wendet sich das nicht vor 2020. Und auch dann ist der Realzins, der die Inflation berücksichtigt, noch nicht positiv. Auf Sicht von vier oder fünf Jahren wird die Zinssituation in der Eurozone keine Freude machen.

Welche Rolle spielen US-Präsident Donald Trump und seine Handelspolitik?

Auch die US-Wirtschaft ist eng mit dem Rest der Welt verbunden und zieht Vorteile aus der internationalen Arbeitsteilung. Die gegenwärtige Unsicherheit lähmt die Investitionen. Ich kann mich nur den klugen Worten des Gouverneurs von Ohio, John Kasich, anschließen, der gesagt hat: Trumps America first läuft darauf hinaus, dass es demnächst heißt: America alone. Leider benimmt sich der Immobilien-Tycoon Donald Trump in der Politik so, wie er sich in New York benommen hat, wo er mit Erpressung und Drohung gearbeitet hat, um die Preise zu drücken. Er war als Geschäftsmann kein ehrbarer Kaufmann nach hanseatischen Grundsätzen, sondern ein Deal-Maker. Das ist im Geschäftsleben schon schwierig, aber in der Politik geht das gar nicht.

Trump wird uns aber noch eine Weile erhalten bleiben.

Jetzt im Herbst gibt es Zwischenwahlen, und da verliert traditionell die Partei des amtierenden Präsidenten. Fiele zum Beispiel das Repräsentantenhaus den Demokraten zu, dann würde Trumps Unwesen gestoppt werden.

Die Börse lebt davon, dass es immer wieder Nachschub an Investorengeld gibt. Aber nach fast zehn Jahren Boom haben sich doch alle, die Aktien kaufen wollen, eingedeckt.

Es gibt immer noch Potenzial, weil die lockere Geldpolitik andauern wird. Der Abstieg vom Zinsgipfel wird sehr schwierig und langwierig werden. Zinsen von vier bis fünf Prozent sind noch in weiter Ferne. Denn die Notenbanken haben panische Angst davor, dass das Kartenhaus einstürzt, wenn sie zu hart und schnell vorgehen. Die Deutschen machen im Übrigen weiter einen Bogen um die Aktie und müssen sich deshalb nach einer Studie mit einer durchschnittlichen Rendite von 3,4 Prozent pro Jahr zufriedengeben. Die Finnen kommen auf sieben Prozent, die Niederländer auf sechs Prozent und die Italiener und Franzosen auf zwischen 4,5 und 5,5 Prozent. Der Grund ist die höhere Aktienquote in diesen Ländern. In Sachen Geldanlage sind wir Deutschen mit unserer Aktienscheu leider Provinzklasse.

Sie haben lange als Fondsmanager gearbeitet und propagieren jetzt börsennotierte Indexfonds, kurz ETFs, die Fondsmanager überflüssig machen. Wollen Sie Ihre Profession ruinieren?

Da die ETFs nun einmal da sind, muss man sich mit ihnen auseinandersetzen. Ich bin kein Nestbeschmutzer, sondern ein Warnrufer. Standardwerte kann man immer noch nach der althergebrachten Analysemethode auswählen. Bei Nebenwerten, zumal im Ausland, insbesondere in Schwellenländern, ist das nicht mehr sinnvoll. Da bieten sich ETFs an. Das Stock-Picking, also die Auswahl von Einzeltiteln, so wie ich das auch all die Jahre und Jahrzehnte gemacht habe, hat hier ausgedient. Das haben uns Leute wie der Finanzwissenschaftler William Bernstein knallhart klargemacht: 90 Prozent des Anlageerfolgs sind auf die Wahl der richtigen Anlageklasse zurückzuführen; die Wahl einzelner Titel und das Timing steuern weniger als zehn Prozent zum Ergebnis bei.

Wo liegt die Zukunft der gemanagten Fonds?

Das Stichwort ist Hybrid. Es gibt eine Entwicklung, die zum Beispiel auch in der Autoindustrie stattgefunden hat. Hybridfahrzeuge sind eine Kombination von Verbrennungs- und Elektromotor. Entsprechend sind sogenannte Multi-Asset-Fonds teils aktiv bei Standardwerten und teils passiv bei Nebenwerten und Titeln aus Schwellenländern. Das Totenglöcklein für die gemanagten Fonds läutet also noch lange nicht. Aber klar ist, dass die Kosten sinken müssen. So hat der Ausgabeaufschlag von fünf Prozent keine Zukunft mehr, die Verwaltungsgebühren müssen runter, und das Research wird massiv schrumpfen, so dass es weniger Analysten geben wird.

Wie steht es um die Finanzmärkte, wenn immer mehr Geschäfte von Maschinen gemacht werden, von Computern, die nach bestimmten Algorithmen arbeiten?

Gegenwärtig haben die ETFs weltweit einen Marktanteil von lediglich zehn Prozent. Zudem verhindern unterschiedliche Anlagestrategien, dass es zu einer Herdenbildung kommt. Die einen handeln von Minute zu Minute, die anderen kurzfristig und die nächsten langfristig. Aufgrund des Hochfrequenzhandels, der einen Marktanteil von 65 bis 75 Prozent an den Aktienumsätzen hat, sind aber massive Ausschläge möglich. Das trifft die langfristig orientierten Investoren jedoch nicht.

Wer sorgt in Zeiten des Computerhandels für die dämpfenden Gegenbewegungen?

Ich halte es mit John Bogle von Vanguard, der Indexfonds für Privatanleger erfunden hat. Er sagt, dass 10 oder 20 aktive Manager ausreichen, um die erforderlichen Gegenpositionen zu bilden. Käme es zu extremen Schieflagen, dann würden auch viele ETF-Anleger zu aktiven Investoren, um Vorteile aus der Situation zu ziehen. Der menschliche Trieb setzt dann auch die Maschinen außer Kraft.

Das Interview führte Michael Heller.

DER BÖRSENPROFI HAT STETS DIE PRIVATANLEGER IM BLICK

Karriere Gottfried Heller wurde am 4. Februar 1935 bei Backnang geboren. Seine Karriere als Fondsmanager begann 1971 mit Gründung der Vermögensverwaltung Fiduka in München zusammen mit dem legendären André Kostolany. Als Chefmanager verwaltete Heller Depots von Anlegern sowie Fonds. Zuvor hatte der Ingenieur als Unternehmensberater gearbeitet. Heute ist er Seniorpartner von Fiduka und als Kolumnist, Autor und Referent aktiv. Autor In seinem neuen Buch „Die Revolution der Geldanlage“ beschreibt er die Chancen, die sich aus seiner Sicht für Privatanleger aus den Umwälzungen an den Finanzmärkten ergeben. An erster Stelle steht für ihn das Aufkommen der börsennotierten Indexfonds (ETFs), die keine eigenständigen Anlageentscheidungen treffen, sondern schlicht Börsenindizes nachbilden. StZ

Bild: Deutsche Börse Group