Interviews

BÖRSE ONLINE: 1. Wie schätzen sie die aktuelle Lage an den Märkten ein?

Gottfried Heller: Es ist wichtig, die dramatischen Geschehnisse an den Börsen in einem größeren Rahmen zu betrachten. Dem Kurssturz an der chinesischen Börse ging eine wilde, hemmungslose Spekulation voraus. Im März begann der Shanghai-Index beim Stand von 3000 Punkten senkrecht abzuheben und stieg binnen drei Monaten auf rund 5200 Punkte – ein Anstieg von über 70 Prozent. Das nennt man eine „Fahnenstange“. An der chinesischen Börse war eine Epidemie ausgebrochen. In jeder Woche wurden von Kleinanlegern mehr neue Wertpapierdepots eröffnet, als es in Deutschland insgesamt gibt. Die völlig unerfahrenen Kleinanleger wurden von der Regierung regelrecht zum Aktienkauf ermuntert. Die Banken gaben freizügig Kredite. Viele Anleger beliehen ihre Depots – manche bis zum Zehnfachen! Plötzlich stürzte, ohne sichtbaren Anlass, der Index senkrecht um über 40 Prozent ab.

Die chinesische Regierung griff inzwischen massiv ein, um den Sturz zu stoppen. Am Wochenende gab sie bekannt, dass Pensionsfonds bis zu 30 Prozent Aktien kaufen dürfen. Nun fürchtet die Welt, dass das Wachstum in China stark zurückgehen und die Weltwirtschaft in Mitleidenschaft gezogen werde. Die Abwertung des Yuan um fünf Prozent wurde als Indiz angesehen. Auch hier muss man die vorangegangene Entwicklung betrachten: Der Yuan war gegen den US-Dollar seit Mitte 2012 bis Ende 2012 um sechs Prozent gestiegen. Mit der leichten Abwertung des Yuan liegt er wieder beim Kurs von 6,4 – genau wie Mitte 2012. Aber gegenüber dem Euro ist der Yuan um 14 Prozent gestiegen.

2. Womit müssen Anleger jetzt noch rechnen?

Die Börsen haben maßlos übertrieben. Aber das Gröbste an den Börsen liegt hinter uns. Angst und Panik ist immer ein schlechter Ratgeber. Die US-Fed wird angesichts der Turbulenzen wahrscheinlich die erste Zinsanhebung auf Dezember verschieben. Die Notenbanken bleiben bei ihrer ultra-lockeren Geldpolitik. Die Kapitalmärkte quellen vor Liquidität über. Und weil es für Anleger keine Alternativen gibt, bleibt keine andere Wahl als Aktien. Die Lage ist jedenfalls besser als die Stimmung.

3. Was sollten Anleger nun am besten tun?

Die Börsen sind seit mehr als sechs Jahren gestiegen. Zwar gab es ein paar Korrekturphasen – etwa 2011 und 2014 – aber jedes Mal ging es danach wieder aufwärts. Rückblickend kann man ein immer wiederkehrendes Phänomen erkennen: Wenn die Aktienkurse steigen, überwiegt die Gier. Doch die emotionale Risikoeinschätzung ist gering, obwohl das finanzielle Risiko steigt. Wenn dagegen die Aktienkurse fallen, überwiegt die Angst. Doch die emotionale Risikoeinschätzung ist sehr hoch, obwohl das finanzielle Risiko gering ist – wie aktuell. Zeit zum Kaufen!

Die billigen Zinsen, das spottbillige Öl, die niedrige Inflation und eine Geldflut an den Kapitalmärkten sind günstige Voraussetzungen für das Weltwirtschaftswachstum. Besonders das billige Öl wirkt wie ein weltweites Konjunkturprogramm.

Ich hatte zwar seit April immer mit einer Korrektur gerechnet und davor gewarnt. Dass sie aber dieses Ausmaß annehmen würde, hatte ich nicht erwartet. Jetzt sind Aktien wieder fundamental günstig bewertet. Der DAX hat von allen Indizes – vom Höchststand gerechnet – mit minus 22 Prozent am meisten verloren, der MDAX nur –14 Prozent, der amerikanische S&P500 –11 Prozent und der MSCI-Welt nur –9 Prozent.

Anleger mit einem breit international diversifizierten Aktiendepot haben also bei dieser Korrektur nur etwa die Hälfte eingebüßt, gegenüber Anlegern, die einseitig nur im DAX angelegt haben. Es bestätigt sich wieder einmal – wie ich in meinem Buch „Der einfache Weg zum Wohlstand“ eindringlich dargestellt habe – dass ein breit international diversifiziertes Aktiendepot das Risiko deutlich reduziert. Im aktuellen Fall hat ein international gestreutes Depot gegenüber dem DAX nur die Hälfte eingebüßt.

Wer also Aktien kaufen will, sollte nicht zu lange zögern. Denn erfahrungsgemäß folgen auf scharfe Einbrüche ebenso scharfe Anstiege.

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