Interviews

Herr Heller, die Wall Street ist im abgelaufenen Jahr unter dem Strich praktisch auf der Stelle getreten, der Dax und viele andere wichtige Börsenplätze wie der FTSE100 haben jeweils gut zwölf Prozent verloren, der chinesische CSI 300 sogar über 20 Prozent. Bleibt die Lage an den Börsen auch 2019 angespannt?

Gottfried Heller: Die Lage an den Börsen wird auch 2019 angespannt bleiben, weil zahlreiche politische Krisen und Unsicherheiten fortbestehen werden. Unsicherheit ist der größte Feind der Anleger.

Wo sehen Sie den S&P 500 und den Dax Ende 2019?

Beide höher wegen günstigeren Bewertungen, weniger Zinserhöhungen in den USA, etwas langsamerer Gangart der Konjunktur und moderatem Anstieg der Unternehmensgewinne. Erfahrungsgemäß entwickeln sich die Börsen besser bei einem mäßigen Wirtschaftswachstum.

Welche Themen dürften die Entwicklung an den Börsen 2019 aus heutiger Sicht bestimmen?

Die Handelsstreitigkeiten zwischen den USA und dem Rest der Welt – aber hauptsächlich zwischen den USA und China. Des Weiteren die schwelende Krise in der Eurozone, der Problemfall Italien und neuerdings Frankreich, die Konjunkturentwicklung, besonders in den USA und in China und die Geldmarktpolitik der US-Fed und der EZB.
Der Brexit ist der größte Unsicherheitsfaktor für die Börsen. Käme es zu einem ungeregelten Austritt der Briten – also einem harten Brexit – könnte Chaos ausbrechen, das zu einer Rezession in Großbritannien und zu schweren wirtschaftlichen Schäden in der EU führen könnte. Aber selbst eine halbwegs akzeptable Notlösung wird mittelfristig Störungen in der Wirtschaft und Hektik an den Börsen auslösen. Der Brexit schadet uns Deutschen am meisten, denn wir verlieren mit Großbritannien in zweifacher Hinsicht: wirtschaftlich einen Gleichgesinnten mit einer freien Marktwirtschaft und politisch einen Verbündeten in der EU. Die Zeiten werden daher auch für DAX und Deutschland rauher.

Welchem der wichtigsten Börsenindizes weltweit trauen Sie 2019 die beste Entwicklung zu?

Als Länderindizes der S&P 500 und der MSCI Emerging Markets. Als Aktienklassen die Indizes der Value-Aktien und der Nebenwerte (Mid/Small Caps).

Wo sehen Sie die größten Risiken für die Börsen 2019?

Zusätzlich zu den schon unter Ziffer 3 genannten ist ein Risiko ein starker Anstieg der Inflation. Die Notenbanken werden alles tun, um die Konjunktur am Laufen zu halten. Sie haben eine panische Angst vor einer Rezession, weil sie, außer in den USA, bei Geldmarktzinsen bei Null oder nahe daran keinerlei Spielraum haben, um durch Zinssenkungen die Konjunktur anzukurbeln. Am prekärsten ist die Lage der EZB, deren Präsident Draghi keine Skrupel haben wird, in Deutschland lieber eine Inflationsrate von 2,5 bis 3 Prozent oder gar darüber hinaus zuzulassen, statt eine Rezession in Italien, dem schwächsten Glied der Eurozone, zu riskieren. Für deutsche Zinssparer ist es daher ein Muss, endlich in Aktien oder Aktienfonds anzulegen, denn sie sind der beste Schutz vor der Inflation.

Viele Volkswirte erwarten für 2019 eine wirtschaftliche Abkühlung in vielen Weltregionen. Die US-Konjunktur habe ihren Höhepunkt bereits überschritten, schreiben etwa die Experten von Morgan Stanley in einem aktuellen Report. Auch in Deutschland trübt sich die Lage ein. Der ifo ist zuletzt drei Monate in Folge gesunken. Ist das noch eine zyklische Schwankung oder bereits das Fanal für eine Rezession?

Die leichte Konjunkturdelle ist eher eine zyklische Schwankung als ein Vorbote für eine Rezession. Dafür gibt es auch keinen Anlass: Die Inflation ist noch moderat und die Geldpolitik der Notenbanken ist noch immer sehr locker.

Viele Beobachter verfolgen mit wachsender Sorge zudem den zuletzt teils steil steigenden Goodwill bei vielen Dax-Konzernen. Alleine SAP und Bayer haben in den vergangenen Jahren jeweils gut 23 Milliarden Euro immaterielle Firmenwerte aus Übernahmen aufgetürmt. Drohen hier im Falle eines Abschwungs an den Börsen dicke Abschreibungen und wie gefährlich könnte das für die Unternehmen werden?

Goodwill-Abschreibungen drohen, wenn die Konjunktur stärker einknickt als erwartet, weil dann die Gewinnbeiträge der übernommenen Unternehmen geringer als kalkuliert ausfallen. Dann müssen die Übernahmeprämien neu bewertet werden.
Im Softwarebereich und damit auch bei SAP, wo Sachanlagen keine so große Rolle spielen, wie bei der Industrie, ist ein Goodwill weniger riskant als beispielsweise bei Bayer, wo gleich ein doppeltes Risiko besteht: Gerichtsverfahren und Schadenersatzzahlungen wegen des Pflanzenschutzmittels Glyphosat und hohe Goodwill-Abschreibungen wegen der zu teueren Übernahme von Monsanto. Der Börsenwert von Bayer betrug beim Höchststand 2015 rund 120 Milliarden Euro, aktuell beträgt er 62 Milliarden Euro. Das Abenteuer Monsanto hat den Marktwert nahezu halbiert. Das Management von Bayer hat offenbar aus dem teuren Debakel in den USA vor etwa 20 Jahren mit dem Herzmittel Lipobay nicht die entsprechenden Lehren gezogen.

Die US-Notenbank hat für 2019 bereits deutlich gemacht, dass sie die Zinszügel weiter anziehen will. Wie könnte sich eine weitere geldpolitische Straffung in den USA auf die Wall Street auswirken?

Fed-Chef Powell hat vor Kurzem gesagt, dass die Leitzinsen schon nahe dem neutralen Zinsniveau seien, das die Konjunktur weder bremse noch antreibe. Er deutete damit eine langsamere Gangart an. Ursprünglich hatte der Markt für 2019 drei Zinsschritte angenommen, jetzt nur noch einen: also eine gemäßigtere Geldpolitik – ein guter Grund für eine Fortsetzung des Kursaufschwungs.

Auch innerhalb der EZB werden die Stimmen lauter, die öffentlich über Zinsanhebungen im kommenden Jahr sprechen. Welche Folgen hätten steigende Zinsen für Dax und Co.?

Angesichts der rückläufigen Konjunktur in Europa und der Probleme einiger Mitglieder, wie Italien, wird die EZB 2019 die Leitzinsen vermutlich noch nicht erhöhen. Wenn überhaupt, wird sie die negativen Einlagezinsen, die die Banken zahlen müssen, reduzieren. Davon haben die Sparer aber nichts. Steigende Zinsen von einem niedrigen Niveau aus stören die Börsen nicht. Das geschieht erst, wenn die Inflation stärker anzieht und die Notenbanken mit höheren Zinsen dagegen ankämpfen müssen. So weit sind wir aber noch nicht.

Nach einer Übersicht des US-Analysehauses Sanford Bernstein sind die Verbindlichkeiten der Unternehmen in den vergangenen zehn Jahren weltweit gleich um zwei Drittel auf 14 Billionen Dollar gestiegen. Wie gefährlich ist eine solche Ausgangslage vor dem Hintergrund möglicher Zinsanhebungen: Steuert die Welt in eine neue Finanzkrise?

Mit ihrer ultralockeren Geldpolitik und mit negativen Zinsen für Bankeinlagen bei der EZB hat die Notenbank die Geschäftsbanken geradezu gezwungen, ihre Kreditvergabe an Unternehmen zu erhöhen, um die Konjunktur ins Laufen zu bringen. Kredite, quasi zum Nulltarif, waren natürlich verlockend für Unternehmen mit zweifelhafter Kreditwürdigkeit. Es besteht die Gefahr, dass viele Zombie-Unternehmen bei steigenden Zinsen nicht existenzfähig sind und die Geschäftsbanken dadurch größere Kreditausfälle erleiden werden, die sie in Schieflage bringen könnten.
Probleme können die Unternehmensschulden besonders in den Südländern der Eurozone, allen voran Italien, sowie China und den USA bereiten, wo ein Konjunktureinbruch fatale Folgen haben würde! Das wissen die Notenbanken und sie werden deshalb weiterhin eine lockere Geldpolitik betreiben. Mehr Sorgen macht mir die Staatsverschuldung. Das gilt vor allem für die USA wegen der schieren Größe von rund 21 Billionen Dollar. Durch die drastische Senkung der Unternehmenssteuern von 35% auf 21% nimmt der US-Bundesstaat um 40% weniger Steuern ein, wodurch sich die Verschuldung noch erhöht. Problemländer sind auch Italien und Frankreich, sowie einige Schwellenländer wie Argentinien und die Türkei.

Weil sich die Welt wegen der Schuldenberge in einer prekären Lage befindet, werden Regierungen und Notenbanken mit allen Mitteln versuchen, den Offenbarungseid so lange wie möglich hinauszuschieben. Eines der Mittel ist die Entwertung der Schulden mittels einer höheren Inflation.
Den besten Schutz vor der Entwertung der Privatvermögen bieten Aktien. Die inflationierten Unternehmensgewinne werden auch auf entsprechend höhere Aktienkurse und Dividenden übertragen.

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