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Als Finanzminister Schäuble Anfang September den Haushaltsentwurf für 2017 in Höhe von 328,7 Milliarden Euro vorstellte, war er sehr stolz darauf, dass er erneut ohne Kredite auskommen soll. Seine „schwarze Null“ verdankt er allerdings größtenteils den Nullzinsen. Besorgt zeigte sich Schäuble jedoch darüber, dass er mehr als jeden zweiten Euro für die Sozialsysteme ausgeben muss. Besonders schmerzen den sparsamen Badener die enormen Kosten für die Rente. Jeder dritte Euro, den heutige Rentner ausbezahlt bekommen, stamme aus Steuern – mit steigender Tendenz: 2017 muss er 91 Milliarden Euro in die Rentenkasse zuschießen, 2020 werden es über 100 Milliarden Euro sein. Ja, die gesetzliche Altersrente ist das vielleicht brennendste Zukunftsproblem. Schon 2012 hatte die damalige Arbeitsministerin von der Leyen die Nation erschreckt, als sie vorrechnete, dass 2030 Arbeitnehmer, die weniger als 2500 Euro im Monat verdienten, „mit dem Tag des Rentenantritts den Gang zum Sozialamt“ antreten müssten. Aber anstatt überfällige Reformen – auch schmerzhafte – durchzuführen, die mit der überwältigenden Stimmenmehrheit von 80% der “GroKo“ umsetzbar gewesen wären, hat Kanzlerin Merkel die Chance vertan und das leidige Thema „Rente“ in der Schublade versenkt. Nur nichts Unangenehmes entscheiden! Erst in diesem Frühjahr tauchte das Thema wieder auf. Neue Studien brachten eine noch verhängnisvollere Schieflage der Rentenversicherung ans Licht. Fast zeitgleich senkte die EZB den Leitzins erstmals auf null. Für die Mehrzahl der Bundesanleihen bekommt man nicht nur keine Zinsen, sondern muss Zinsen an Schäuble zahlen. Eine indirekte Vermögensabgabe.

Auch die Lebensversicherungen, von denen es fast 90 Millionen gibt, sind in kläglichem Zustand.

Sie bringen kaum noch Renditen, weil sie fast nur auf Zinsanlagen setzen. Aktien machen nur 4 % der Kapitalanlagen aus – und nun laufen die Lebensversicherungen Gefahr, ihre mickrigen Zinsgarantien auf Dauer nicht erfüllen zu können. Die Garantieverzinsung sinkt ab 2017 von 1,25 % auf 0,9%. Zieht man die Kosten ab, liegt die tatsächliche Rendite der Beiträge dann nahe Null.

Das allergrößte Desaster ist aber die Riester-Rente. 2002 eingeführt, um das Abschmelzen des Rentenniveaus mit einer privaten Rente auszugleichen, war sie von Anfang an wegen ihrer hohen Kosten und dürftigen Renditen umstritten und wird jetzt in der Nullzins-Phase für viele Anleger sogar zum Verlustgeschäft. Mit der notorischen deutschen Gründlichkeit, mit Regulierungswut, teuren Garantieversprechen, Risikoscheu und Aktienfeindlichkeit sind bürokratische Ungetüme entstanden, die eine trügerische Sicherheit vorgaukeln, aber lächerlich wenig Ertrag abwerfen.

Kurz gesagt: Das deutsche Rentensystem ist eine Zeitbombe und die Riester-Rente ein Rohrkrepierer. Schon in biblischen Zeiten gab es eine Regel, wie das Vermögen am besten aufzuteilen sei. Sie lautete: Ein Drittel im Beutel, ein Drittel in Häusern, ein Drittel in Geschäften. Übersetzt heißt das: Ein Drittel in Festgeld und Festverzinslichen, ein Drittel in Immobilien und ein Drittel in Aktien.
Die Deutschen dagegen halten (netto) 53 % in Immobilien, 39% in Geldanlagen und 8% in Aktien oder Fonds. In Geschäften – also Aktien – sind sie völlig unterinvestiert. Wollten sie bibeltreu anlegen, müssten sie den Aktienanteil fast vervierfachen. Das würde sich lohnen.

Aktien sind langfristig die mit Abstand ertragreichste Anlageform. Einschließlich wieder angelegten Dividenden betrugen die durchschnittlichen jährlichen Renditen nach Berechnungen der US-Bank Morgan Stanley in den 45 Jahren bis 2015 an den wichtigsten Börsen 10 bis 12 Prozent pro Jahr. Davon können die von Albträumen geplagten Zinssparer nur träumen.

Was macht Aktien gerade für die Altersvorsorge so attraktiv?

1. Aktionäre sind doppelt am nominalen Wachstum der Volkswirtschaft beteiligt: Unternehmensgewinne steigern die Kurse und die Dividenden. Hinzu kommt der Zinseszinseffekt der wiederangelegten Dividenden, den Albert Einstein als das achte Weltwunder bezeichnet hat.
2. Aktien schwanken stärker als Anleihen. Deswegen müssen sie eine höhere Rendite bringen – einen „Risikoaufschlag“. Das Risiko von Aktien wird aber wegen ihrer kurzfristigen Schwankungen als höher eingestuft als es langfristig ist. Die „Überrendite“ ist der „Lohn der Angst“ für ein vermeintliches Risiko, das langfristig nicht besteht.

Seit Monaten arbeiten Expertenstäbe an einem Rentenreform-Vorschlag, den Arbeitsministerin Nahles (SPD) im November präsentieren will. Sie drehen an drei Stellschrauben, wie man das kranke Umlageverfahren auf gesunde Beine stellen könnte:
1. Beitragssätze erhöhen
2. Rentenerhöhungen weiter kürzen
3. Renteneintrittsalter erhöhen.
Wie man es dreht und wendet: Mal ist die Lösung zu teuer, mal menschlich nicht zumutbar oder ideologisch nicht akzeptabel. Dabei hat es ein Parteifreund von Nahles, der frühere Arbeitsminister Müntefering, treffend auf den Punkt gebracht: „Weniger Kinder, später in den Beruf, früher raus, länger leben, länger Rente beziehen: Wenn man das nebeneinander legt, muss man kein Mathematiker sein, da reicht
Volksschule Sauerland, um zu wissen: Das kann nicht gehen!“ Recht hat er, der Sauerländer Müntefering. Er wollte den Deutschen bildhaft klarmachen, dass ein Rentenbeginn mit 67 und Abstriche bei der Rentenhöhe nicht zu vermeiden sind. Inzwischen
hat die SPD den späteren Rentenbeginn ab 67 teilweise gekippt und die sündteure abschlagfreie Rente mit 63 eingeführt. Frau Nahles und die anderen Gegner von Münteferings Rentenreform hätten also Volksschule Sauerland nicht geschafft. Wenigstens für einen Ministerposten reicht es aber.
Das nüchterne Fazit heißt: Das Umlageverfahren muss durch eine massive Stärkung der privaten und betrieblichen Altersvorsorge entlastet werden. Und dabei ist ein viel höherer Aktienanteil unverzichtbar, sonst müssen sehr viele Deutschen im Alter darben.

Anstatt zu versuchen, das Rad neu zu erfinden, hilft ein Blick ins Ausland, weitaus bessere Lösungen zu finden. Zwei Beispiele:

In Frankreich gibt es den Aktiensparplan PEA (Plan d’Épargne en Actions), in dessen Rahmen jeder bis zu einer Gesamtsumme von 150.000 Euro in Aktien, Fonds und auch Zinsanlagen investieren kann. Voraussetzung: 75% der Aktien sind von Unternehmen
aus der EU. Die Erträge sind steuerfrei, ebenso Kursgewinne ab einer Haltedauer von 5 Jahren! Sozialabgaben fallen allerdings an. Seit 2014 hat die Regierung zusätzlich einen PEA für Aktien kleiner und mittlerer Unternehmen eingerichtet. Hierüber können weitere 75.000 Euro angespart werden, so dass insgesamt 225.000 Euro begünstigt sind, pro Ehepaar 450.000 Euro. Im Vergleich dazu sind die Riester-Höchstbeträge von 2.100 Euro pro Jahr ein Witz.
Die USA sind ein Musterbeispiel der betrieblichen und privaten Altersvorsorge. Da dort die Beitragssätze zur staatlichen Rentenversicherung mit 12,4% um 6,3 Prozentpunkte niedriger sind als in Deutschland – und seit 30 Jahren unverändert – haben Arbeitnehmer netto mehr von ihren Löhnen übrig und die Unternehmen müssen weniger beisteuern. Dieses eingesparte Geld fließt seit 1978 vielfach in die betriebliche Vorsorge, die mit dem legendären 401(K)-Plan eine rentable und flexible Lösung bietet. Arbeitnehmer können bis zu 15% ihres Lohns – unversteuert – bis zu 18.000 Dollar pro Jahr investieren. Viele Arbeitgeber beteiligen sich mit 50 bis 100% an den Arbeitnehmerbeiträgen. Das Geld fließt überwiegend in Aktien- und gemischte Fonds. Sie sind für die Arbeitnehmer steuerfrei, der Arbeitgeber kann seinen Anteil von der Steuer absetzen. Die Transparenz ist groß, weil jeder jederzeit Inhalt und Stand seiner Altersvorsorge kennt; während der Ansparzeit sind Erträge
(Zinsen, Dividenden, Kursgewinne) steuerfrei. Bei Renteneintritt unterliegen die Zahlungen der dann niedrigen Einkommensteuer. Zusätzlich kann mit dem Roth-IRA aus versteuertem Einkommen jährlich bis zu 5.500 Dollar Vorsorgevermögen gebildet werden, – steuerfrei nach fünf Jahren Anlagedauer. Die unkomplizierte, flexible und durch wenige Restriktionen geprägte Altersvorsorge hat bewirkt, dass US-Bürger kurz vor Rentenantritt im Durchschnitt 360.000 Dollar auf den verschiedenen
Vorsorge-Konten angespart haben. Die Amerikaner besitzen deshalb das zweithöchste Pro-Kopf-Vermögen der Welt, im Durchschnitt laut Allianz Wealth Report über 161.000 Euro. Deutsche haben mit 48.000 Euro nicht ein Drittel davon. Die Behauptung, Deutschland sei ein reiches Land, entpuppt sich als Märchen. Die Deutschen leben noch nach dem Alten Testament: „Im Schweiß Deines Angesichts sollst Du Dein Brot essen“. Aber ihre Ersparnisse lassen sie faulenzen.
Warum ist das Ausland in der Vermögensbildung erfolgreicher? Weil der Anteil der staatlichen Rente in vielen Ländern unter 50% der Altersbezüge liegt, z.B. in den USA bei 48%, in der Schweiz bei 43% – aber in Deutschland bei 75%! Dafür sorgen aber steuerlich begünstigte, flexible private Vorsorgepläne mit großen Beträgen, die langfristig in Aktien und Aktienfonds angelegt sind, für einen beachtlichen Wohlstandseffekt. Deutschland ist in der Industrie Weltklasse, bei Vermögensbildung und Altersvorsorge aber Provinzklasse.

Finanzminister Schäuble fordert zurecht, man müsse die private Vorsorge wieder attraktiver machen. Dazu muss er aber die Voraussetzungen schaffen.

Anstatt die Abgeltungsteuer abzuschaffen, und an ihrer Stelle wieder die Einkommensteuer zu setzen – was einer Steuererhöhung gleichkommt – sollte er im Gegenteil die Doppelbesteuerung von Dividenden aufheben und realisierte Kursgewinne nach einer Spekulationsfrist von mehreren Jahren wieder steuerfrei stellen. Das würde die Akzeptanz der Aktie als Vorsorgeinstrument steigern. Der Aufbau einer privaten Deutschland-Rente, die einfach, sicher und günstig ist, wurde ausführlich im Buch „Der einfach Weg zum Wohlstand“ beschrieben. Das geht mit ETFs (börsengehandelte Fonds) sehr kostengünstig. Die Konzeption:
1. Aktien weltweit streuen, einschließlich Schwellenländer – das erhöht die Rendite und senkt das Risiko.
2. Substanzaktien (Value-Aktien) mit guter Dividende bevorzugen – das erhöht die Sicherheit.
3. Nebenwerte beimischen, weil sie langfristig die besten Erträge bringen.
4. Sicherheit einbauen, indem der Anleihenanteil je nach Alter und Risikobereitschaft 10 bis 50 Prozent beträgt.
Dieses Konzept eines privaten Vorsorgevermögens ist ein Gewinn für Bürger und Staat: Es bringt deutlich höhere Erträge als Spareinlagen, Versicherungen oder Anleihen, weist weit geringere Schwankungen auf, nimmt den Deutschen die Angst vor hohen Verlusten und erfordert einen geringeren Kapitalaufwand als alle anderen Sparformen. Es schützt die Bürger vor Altersarmut und beschert Finanzminister Schäuble fortlaufend „seine schwarze Null“, weil er viel weniger Steuern für die Rentenkasse opfern muss.

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