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Die Rendite der symbolträchtigen zehnjährigen Bundesanleihe ist vergangene Woche erstmals unter Null bis auf minus 0,04 Prozent gefallen. Ein Anleger müsste demnach jährlich also vier Cent zahlen, wenn er der Bundesrepublik für zehn Jahre 100 Euro leiht. Es ist absurd, wenn Schuldner Geld dafür bekommen, dass sie sich etwas leihen, und wenn Gläubiger Geld dafür zahlen, dass sie anderen einen Kredit gewähren dürfen. Nein, das ist sogar ganz und gar abartig.

Für den deutschen Kapitalmarkt ist das ein epochales Ereignis und das gilt für die ganze Welt, wo mittlerweile Bonds für über neun Billionen Euro eine negative Rendite haben.

Deutsche Sparer trifft es dabei am härtesten: Immerhin 85 Prozent der Bundesanleihen haben einen negativen Zins. Das ist eine Katastrophe, besonders für ihre traditionelle Altersvorsorge, denn sie haben seit eh und je das Gros ihrer Ersparnisse in Zinsanlagen und Lebensversicherungen gesteckt. Diese bequeme Form des Sparens ist für alle sichtbar vorbei. Denn ein Negativzins bedeutet den Wegfall des Zinseszins-Effekts, den Albert Einstein als „das achte Weltwunder“ bezeichnet hat. Aber es scheint, dass eine über drei Jahrzehnte währende Episode fallender Zinsen dieses Jahr zu Ende geht. Daher möchte ich den Blick etwas weiter in die Ferne richten. Die Zentralbanken sind zu den größten Besitzern von Staatsanleihen geworden: Die US-Notenbank Fed besitzt 18 Prozent der in den Vereinigten Staaten emittierten Staatsanleihen, in Japan kommt die Notenbank auf mehr als ein Drittel der Staatsschulden, und die Bundesbank wird am Ende der geplanten EZB-Käufe im März 2017 ein Viertel der Bundesanleihen besitzen.

Und die Neuverschuldung der Industrieländer erfolgte zu Niedrigstzinsen. Während die Bundesrepublik noch im Jahr 2008 für Anleihen von 933 Milliarden Euro 40 Milliarden Euro Zinsen zahlen musste, gibt er in diesem Jahr für 1,05 Billionen Euro nur 21 Milliarden Euro aus– also die Hälfte. Da die Neuemission lange Laufzeiten bis zu 30 Jahren haben, beträgt die durchschnittliche Laufzeit deutscher Staatsanleihen über sieben Jahre. Die Zinslast ist damit auf Jahre hinaus etwa halb so schwer wie vor der folgenschweren Finanzkrise im Jahr 2008.

Die südeuropäischen Länder haben von der maßlosen EZB-Politik Mario Draghis besonders profitiert. Ihre Zinslast hat sich seit dem Euro-Beitritt gedrittelt. Neben der ultra-lockeren Geldpolitik hat auch das schwache Wachstum der Weltwirtschaft die Inflation und die Zinsen gedrückt. Das Wachstum wird wohl auch in Zukunft langsamer verlaufen als in den 80er- und 90er-Jahren. Damals wurde die Wirtschaft mit Hilfe von Krediten dank deren Hebelwirkung befeuert. Die Schuldenberge wuchsen steil an. Nun ist das Gegenteil angesagt: Schuldenabbau – Enthebelung.

Weitere Bremsfaktoren sind:

1. Die Wachstumsimpulse aus den Schwellenländern haben nachgelassen

2. Die Weltbevölkerung altert spürbar, die Zahl der Ruheständler nimmt deutlich zu

3. Die Arbeitslosigkeit bleibt hoch

Die drückende Schuldenlast wird einerseits durch die über Jahre fortwirkenden Niedrigzinsen „erleichtert“ und andererseits durch die Inflation. Zwar wird sie nicht überschießen, aber zwei bis vier Prozent werden es wohl bald wieder sein. Dafür gibt es mehrere Gründe:

1. Die weltweite Geldflut ist langfristig inflationär

2. Der preisdämpfende Effekt der Billigeinfuhren aus den Schwellenländern und der niedrigen Ölpreise nimmt deutlich ab

3. Die Gewerkschaften setzen höhere Löhne durch

Dieses Umfeld ist günstig für Aktien. Mäßiges Wachstum hält die Inflation im Zaum und die Zinsen relativ niedrig, lässt aber die Gewinne moderat klettern. Anders als von EZB-Präsident Draghi ständig behauptet, droht also keine Deflation. Die Kerninflation – ohne Nahrungsmittel und Öl – liegt in Deutschland bei 1,3 und in den USA bei 2,2 Prozent.

Schon in einigen Monaten könnte die Inflationsrate wegen des Basiseffekts stärker anziehen, sofern der Ölpreis unverändert bei 50 Dollar bleibt oder steigt.

Es gibt keine vernünftige Alternative zu Aktien oder Aktienfonds, egal wie sich die Dinge entwickeln:

1. Wenn die Zinsen niedrig bleiben, sind sie wegen ihrer höheren Dividenden attraktiv

2. Wenn die Zinsen wegen einer beschleunigten Konjunktur anziehen, steigen die Unternehmensgewinne stärker und mit ihnen die Aktienkurse

3. Falls die Inflation kräftiger zunimmt, sind Aktien erste Wahl, denn sie lassen ihre Besitzer das nominale Wachstum – einschließlich Inflation – in doppelter Weise zukommen – und zwar mit steigenden Kursen und höhere Dividenden. Die Aktie ist also wachstums- und inflationsindexiert In diesem Umfeld dürfte ein international breit gestreutes Aktiendepot einschließlich wieder angelegter Dividenden langfristig im Schnitt acht bis neun Prozent Rendite pro Jahr erzielen. Mit Anleihen ist das auf längere Sicht wohl nicht möglich.

Dies ist übrigens meine letzte Welt-Kolumne. Ich verabschiede mich und wünsche allen Lesern gutes Gelingen bei ihren Geldanlagen. Meine Einschätzungen zu Börse und Wirtschaft können Sie auf meiner Webseite www.gottfried-heller.de nachlesen oder meinen kostenlosen Newsletter beziehen.

Bild: Witthaya/Adobe Stock