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Die Börsenkrise in China ist in diesen Tagen ein so beherrschendes Thema, dass sie sogar Schlagzeilen auf den Titelseiten der Printmedien machte. Es gibt einen Indikator, der besagt, dass der Höhepunkt einer Krise überschritten sei, wenn eine solche Überreaktion geschieht. Wird das auch diesmal der Fall sein?

Am 24. August waren weltweit die Börsenkurse eingebrochen. Es herrschte Panikstimmung. Der Dax fiel zeitweise um 7,8 Prozent. Wie immer suchen im Nachhinein die Experten nach den Gründen und fast immer ist ihre Diagnose falsch. Diesmal schien es offenkundig, dass der Hauptgrund für die weltweiten Börsenturbulenzen die Schwäche der zweitgrößten Wirtschaft der Welt sei – China! Befürchtet wird, dass das sogenannte Reich der Mitte die Wirtschaft vom Rest der Welt in Mitleidenschaft ziehen könnte. Die Indizien sprachen dafür: Seit Juni ist der Shanghai-Börsenindex um 42 Prozent abgestürzt. Jüngste Zahlen über Handel und Industrieproduktion deuten an, dass die angestrebten sieben Prozent Wachstum verfehlt werden könnten.Schließlich wurde die Abwertung des Yuan um vier Prozent als weiteres Indiz für die Konjunkturschwäche angesehen. Aber hier muss man die vorangegangene Entwicklung betrachten. Der Yuan war gegen den US-Dollar seit Mitte 2012 um sechs Prozent gestiegen. Gleichzeitig war er mit dem US-Dollar gefloatet. Der ist aber gegen den Euro um über 20 Prozent gestiegen. Mit der kleinen Abwertung liegt der Yuan beim gleichen Kurs wie 2012. Aber gegenüber der Gemeinschaftswährung Euro ist der Yuan sogar um 14 Prozent gestiegen.

Auf den ersten Blick scheint es, dass China das Epizentrum des Börsenbebens sei. Man muss es aber in einem größeren zeitlichen Rahmen betrachten: Dem Kurssturz in China ging eine hemmungslose Spekulation voraus. Innerhalb eines Jahres war der Shanghai-Index um 158 Prozent gestiegen. In China war das Börsenfieber ausgebrochen. Am Höhepunkt wurden in jeder Woche über vier Millionen neue Wertpapierdepots eröffnet. In der Spitze waren es fast 100 Millionen Einzeldepots. Die unerfahrenen Kleinanleger wurden von der Regierung über die Medien in verantwortungsloser Weise regelrecht zum Aktienkauf getrieben. Die Banken gaben freizügig Kredite. Viele Börsenneulinge beliehen ihre Depots, manche bis zum Zehnfachen. Der Börsenindex schoss senkrecht in die Höhe und bildete eine „Fahnenstange“.

Mitte Juni platzte die Blase. Trotz der Talfahrt bleibt seit Beginn des Höhenflugs noch immer ein Gewinn von fast 60 Prozent, aber nur für Anleger, die früh eingestiegen sind. Doch die Depots von Millionen von Kleinanlegern stehen dick im Minus. Und wenn sie Kredite aufgenommen haben, werden ihre Aktien von der Bank zwangsverkauft.

Das ist meines Erachtens der eigentliche Grund für die noch anhaltenden Börsenschwäche. Die Umsätze der Börse werden in China zu 80 Prozent von meist kleinen Privatanlegern bestritten. Erholungsansätze werden daher immer wieder durch Zwangsverkäufe gebremst – bis die Schieflagen beseitigt sind. Die Baisse in China ist deshalb nicht Ausdruck einer gefährlichen Konjunkturschwäche, sondern das Resultat einer wilden Fehlspekulation. Und es ist ein lokales und kein globales Ereignis.

Die chinesische Regierung griff massiv ein, um den Sturz zu stoppen. Sie senkte die Zinsen und die Mindestreserven und unternahm Stützungskäufe. Sie erlaubte Pensionsfonds bis zu 30 Prozent Aktien zu kaufen. Es ist zu erwarten, dass diese Maßnahmen auf Sicht von ein bis zwei Monaten wirken dürften. Dann sollte die Börse wieder Tritt fassen, unterstützt durch eine inzwischen günstige Bewertung mit einem Kurs/Gewinn-Verhältnis (KGV) von 9,6.

Während China schwächelt, befindet sich die Konjunktur in Europa und in den USA auf Wachstumskurs, ungeachtet der Probleme in China und anderen Schwellenländern. Denen wird es langsam besser gehen, wenn dank starkem Konsum die Industrieländer mehr Importe aufnehmen. Hinzu kommt das billige Öl, dessen Preis sich seit Mitte 2014 mehr als halbiert hat. Die Einsparung für die Weltwirtschaft beträgt über eine Billion Dollar pro Jahr. Das wirkt wie ein riesiges Konjunkturprogramm.

Aus saisonaler Sicht ist der September der schlechteste Börsenmonat. Da aber der August mit einem Dax-Minus von neun Prozent schloss, könnte es sein, dass der September dieses Jahr bereits im August stattfand.

Das heißt nicht, dass die Turbulenzen aufhören, aber das Gröbste scheint hinter uns zu liegen. Die Notenbanken bleiben vorläufig bei ihrer extrem lockeren Geldpolitik, die Kapitalmärkte quellen über vor Liquidität, die Konjunktur ist moderat. Da bleibt keine andere Wahl als Aktien zu kaufen und international breit zu streuen. Die beste Taktik beim Kauf von Aktien oder börsengehandelten Fonds (ETF) ist die Mischtechnik, das heißt Teilkäufe an schwachen Tagen. Auf diese Weise bekommt man einen günstigeren Kaufkurs, als wenn man es mit Timing versucht.