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Zuletzt hatte kaum noch jemand daran gezweifelt: Die US-Notenbank Fed hat den Leitzins um einen viertel Punkt auf 0,25 bis 0,50 Prozent angehoben und damit die seit Ende 2008 währende Ära der ultralockeren Geldpolitik beendet. Dieser erste Zinsschritt ist zwar klein, er hat aber eine umso größere symbolische Wirkung.

Die Fed hat den ersten Schritt zurück zur Normalität getan. Sie signalisiert, dass die Finanzmarktkrise sich dem Ende nähert und dass sie sich rechtzeitig vor der Inflation wappnen muss. Im Bulletin zum Zinsentscheid heißt es denn auch, dass mittelfristig die Inflation auf die angestrebten zwei Prozent steigen werde, da die vorübergehenden Effekte der fallenden Energie- und Importpreise sich vermindern und der Arbeitsmarkt sich weiter erholen werde. Bei einer Arbeitslosenrate von fünf Prozent herrscht normalerweise in den USA Vollbeschäftigung. Allerdings gibt es noch viele Arbeitnehmer, die Teilzeit arbeiten müssen, obwohl sie Vollzeit arbeiten wollen, und viele, die entmutigt die Stellensuche aufgegeben haben und in der Statistik nicht mehr auftauchen. Erst wenn diese Lücken gefüllt sind, wird es zu stärkeren Lohnerhöhungen kommen. Daher hat die Fed betont, dass der Leitzins für längere Zeit unterhalb der Marke liegen werde, die langfristig angebracht sei.

In anderen Worten: Mit raschen weiteren Zinsschritten ist vorläufig nicht zu rechnen. Auch aus politischen Gründen: Im Herbst 2016 finden die Präsidentschaftswahlen statt. Die Fed hält in dieser Zeit still, um nicht der Einmischung bezichtigt zu werden.

Zinserhöhungen haben üblicherweise einen bremsenden Effekt auf die Konjunktur. Daher mag es widersinnig klingen, wenn ich erwarte, dass dieser Zinsschritt in den USA eine stimulierende Wirkung haben wird, da der bisher herrschende Attentismus – eine untätige Abwartehaltung vor allem bei Investitionen – zu Ende gehen wird. Weil Unternehmer und Häuslebauer damit rechnen, dass ihre Finanzierungskosten steigen, wollen sie sich noch die günstigen Konditionen sichern. Schon im Vorfeld sind die 15-jährigen Hypothekenzinsen von 2,5 auf 2,8 Prozent gestiegen. Daher ist zu erwarten, dass die schwache US-Investitionstätigkeit zunehmen wird und dass sich der Immobilienmarkt noch mehr beleben wird. Und was macht die Börse?

Hier fingen schon in den letzten Tagen vor der erwarteten Zinserhöhung die Kurse an zu steigen – das klassische Börsenphänomen des „fait accompli“, der „vollendeten Tatsache“. Noch ein anderes Phänomen sei erwähnt, das sich immer am Jahresende in den USA zeigt: das „Tax Selling“. Privatanleger versuchen Kursgewinne, die sie im Lauf des Jahres realisiert haben, durch Kursverluste anderer Papiere zu neutralisieren, um Steuern zu sparen. Üblicherweise verkaufen sie die Aktien im Depot mit den höchsten Verlusten. In diesem Jahr sind Öl- und Rohstoffaktien Verkaufskandidaten sowie Aktien von Schwellenländern, mit dem Resultat, dass deren Kurse noch tiefer fallen. Diese Verkaufsaktion endet meist ab Mitte Dezember. Das könnte auch dieses Jahr für einen freundlichen Jahresausklang sorgen.

Und wie geht es 2016 weiter? Zunächst die politische Situation: Die Flüchtlingswelle hat die Euro-Krise aus den Schlagzeilen verbannt. Aber sie ist nicht verschwunden. In Griechenland  wurde kein einziges fundamentales Problem auch nur ansatzweise gelöst. In Portugal herrscht eine linkssozialistische Regierung, die weitere Reformen verweigern wird. In Frankreich, das der größte Problemfall in der Euro-Zone ist, herrscht in Sachen Reformen bis zu den Wahlen 2017 Stillstand.

EZB-Chef Draghi wird natürlich alles tun, den romanischen Ländern jegliche geldpolitische Hilfe zu gewähren, sei es inner- oder außerhalb seines Mandats. Er hat aber inzwischen keine ganz so freie Hand mehr wie bisher.

Bundesbankpräsident Jens Weidmann, meist allein gegenüber der romanischen Mehrheit im EZB-Rat, hat Bundesgenossen bekommen: Gemäß einer Umfrage verliert Draghi den Rückhalt der deutschen Eliten. Auch im EZB-Rat bekam er zuletzt Gegenwind.

Da die Geldpolitik weltweit trotz der US-Zinswende wegen der zusätzlichen Lockerung in Euroland, Japan und China insgesamt noch expansiver werden dürfte als 2015, sind moderates Wachstum plus billiges Geld in Hülle und Fülle die richtige Mischung für höhere Aktienkurse.

Im Vergleich zu Zinsanlagen sind Aktien weitgehend konkurrenzlos. Allein schon die Dividendenrendite beträgt ein Vielfaches der Anleihenzinsen, und die Bewertung ist nicht überteuert. Ich erwarte, dass besonders europäische Aktien – auch weil sie fundamental billiger sind – und im weiteren Jahresverlauf die zu tief gefallenen Emerging-Markets- und Rohstoffwerte die besten Chancen bieten werden.